Seit ihrem Debüt 2010 Der Platz des Hundes (mitter verlag)– einem Erzählband – verfolgt die 1984 in Linz geborene Anna Weidenholzer konsequent ihren literarischen Weg. Mit dem 2012 erschienen Roman Der Winter tut den Fischen gut wurde sie bereits für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert, im selben Jahr erhielt sie den Reinhard-Priessnitz-Preis. Der 2016 erschienene Roman Weshalb die Herren Seesterne tragen stand auf der Longlist des Deutschen Buchpreises. 2019 folgte der Roman Finde einem Schwan ein Boot. Im Frühjahr 2025 ist nun das Buch Hier treibt mein Kartoffelherz (ebenfalls im Matthes & Seitz Verlag) erschienen, in dem sie mit Erzählungen aufwartet, die gleichermaßen literarische Portraits sind.
Dabei verfährt sie so exakt mit der Sprache, dass die Figuren schon nach nur wenigen Zeilen Kontur gewinnen. Kein Wort ist überzählig, keines fehlt. Gleichzeitig erweist die Autorin ein bemerkenswertes Gespür für Untiefen. Weidenholzers Blick ist dabei ein liebevoller, wenn auch zu Ironie fähiger. Ein unwiderstehlicher Sinn für Humor leuchtet wie ein farbenfrohes Outdoorgewand durch die Zeilen: „Seit Langem trägt er wieder einmal die Daunenjacke, viel zu warm für einen Tag mit Föhn. Eine blitzblaue Jacke, mit der er beim Einkaufen leicht zu finden ist, vielleicht hat er sie auch deswegen ausgewählt, Harald ist ein umsichtiger Mann.“ (S. 13)
Die einzelnen, jeweils den vier Jahreszeiten zugeordneten Erzählungen fügen sich während des Lesens zu einem Ganzen. Verschiedene Figuren tauchen in anderen Erzählungen wieder auf und erhalten durch eine Verschiebung der Perspektive zusätzliche Facetten. Neben Weidenholzers sprachlicher Präzision ist das Schlagen erzählerischer Volten ihre ausgesprochene Stärke. Für eine Grundspannung beim Lesen ist gesorgt: „Zustellung, sagt Philipp, nicht Abholung, da besteht ein großer Unterschied. Ich klingle, ich gehe unzählige Stufen hinauf, einige warten bereits an der Wohnungstür, andere öffnen sie erst nach erneutem Klingeln, ich grüße, ich überreiche eine Tragetasche, in der sich in Luftpolsterfolie gewickelt die Urne des Haustieres befindet, das mich vor zwei Wochen an dieser Stelle vielleicht noch angebellt hätte“, heißt es etwa in schwungvollen Sätzen in der Geschichte Für Philipp schwarzen Mais, um mit dem Gedanken vollendet zu werden: „Manche sind gefasst, andere den Tränen nahe, aber das kann einem auch mit Pizza passieren.“ (S. 62) Die Zutaten dieser knapp zwölf Buchseiten langen Geschichte sind fraglos auserlesen und geschickt gemischt – das teilen schließlich Pizza und Urne.
Gleichzeitig ist Anna Weidenholzer nichts ferner als die große Geste. Dadurch entsteht ein äußerst sympathischer Eindruck einer genauen Beobachterin. Feinfühlig verhilft sie dem „Schrägen“ zu Glanz und tippt im Vorbeigehen das Gerade an, sodass es in die Schräge fällt. Ausdrücklich sei in diesem Zusammenhang auf die Erzählung In der kleinen Eisenbahn hingewiesen. Noch nie zuvor in der Literaturgeschichte dürfte die Liliputbahn so zum Zug (pardon) gekommen sein.
Gekonnt und sprachlich versiert vermisst Weidenholzer die verschiedensten Winkel sowohl des Kopfes als auch der Welt, an die dieser sich stößt – derartig, dass man es mitunter wie Barbara aus Büro für Wellen und Strömungen empfindet: „Dass sie sich wie der betrunkene Mann in Neuseeland fühle, der dreizehn Stunden in einem Kreisverkehr zugebracht hatte, weil er keine Ausfahrt gefunden hatte.“ (S. 88)
Aber die Autorin weist uns entgegenkommenderweise auch auf eine Entspannungsmöglichkeit hin: im Wellenbad auf den Bauch rollen, wie ein Seehund: „Seehunde nehmen die Bananenstellung ein, wenn sie in vollkommene Entspannung eintreten, sagte Magda gestern. Darin unterscheiden sie sich grundlegend von den Menschen, aber einen Versuch ist es trotzdem wert.“ (S. 84) Also ich folge schon dem Rat – ab ins Wellenbad: Hier treibt mein Kartoffelherz liegt auf dem Liegestuhl!
Anna-Elisabeth Mayer, geb. 1977 in Salzburg, lebt heute als Schriftstellerin in Wien. Studium der Philosophie und Kunstgeschichte. Für ihr Debüt Fliegengewicht (Schöffling Verlag) wurde sie mit dem Literaturpreis Alpha 2011 ausgezeichnet. 2014 folgte der Roman Die Hunde von Montpellier (Schöffling). Im darauffolgenden Jahr erhielt sie den Reinhard-Priessnitz-Preis. Ebenfalls bei Schöffling veröffentlichte sie 2017 den Roman Am Himmel und im Frühjahr 2023 ihren vierten Roman Kreidezeit, der sich mit der fortschreitenden Digitalisierung auseinandersetzt.