#Roman

Wüste Welt

Wolfgang Popp

// Rezension von Erkan Osmanovic

Waren das Tage bis jetzt. Mit Ideen gespielt und mit Menschen getanzt. Und jetzt in den Süden, damit die Dinge sich klären. HG 3734. Oh brother, where art thou?“ (12)
Diese kryptische SMS wird für einen Wiener Sänger zum Beginn einer langen Reise. Der Absender? Sein Bruder. HG 3734? Eine Flugnummer. Ziel: Marokko. Dort landet der namenlose Protagonist im Hotel Hotel Salama, in der Kleinstadt Tafraoute. Er bucht dasselbe Zimmer wie sein jüngerer Bruder und ist zunächst ratlos. Beim Gespräch mit einem Einheimischen erfährt er vom Ziel seines Bruders: Sidi Ifni. Eine in den 1930er-Jahren von den Spaniern erbaute Stadt, „ein sündiges Nest“ (24): „Und nachts ziehen noch immer die Geister von damals durch die Straßen.“ (24) Allerdings endet dort nicht das Geschehen. Es geht erst richtig los. Die Reise führt in das Sandmeer und die Mythenwelt Marokkos – schließlich wohnt der Namenlose gar einer Geisterbeschwörung bei.

Wüste Welt erzählt von der Wüste, (Bruder-)Liebe und Gespenstern. Nach Ich müsste lügen (2013) und Die Verschwundenen (2015) ist der Roman der Abschluss der Trilogie des Verschwindens. Der namenlose Protagonist jagt seinem Bruder hinterher, „dem Geist, der sich auf die Suche nach Geistern gemacht hat.“ (88) Dabei setzt er sich auch mit den Gespenstern seiner Vergangenheit, vor allem mit der Eifersucht auf seinen talentierten Bruder, auseinander. Schließlich wird die Jagd zur Suche nach seiner eigenen Identität. Dabei trifft er andere Menschen, die von Gespenstern in den Bann gezogen werden.
So etwa der Wissenschaftler Norbert, der in der Wüste nach Exkrementen des Wüstenfuchses sucht, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Doch sein echtes Interesse gilt den Tiefseefischen: „Spukhafte Gestalten mit übergroßen Mäulern und herausstehenden Zähnen.“ (106) Oder das Alt-Hippie Paar Gudrun und Bernhard, ihres Zeichens Musikethnologen, die den vorislamischen Gesängen der Wüstenvölker, den „Stimmen der Geister“ (93), hinterherjagen.

Dem Journalisten und Autor Wolfgang Popp gelingt es, die Atmosphäre der Geschichte durch Faktenwissen zu verdichten. So etwa als Norbert dem Protagonisten die Gesänge der Tiefseefische vorspielt: „Zuerst ist gar nichts zu hören, nur eine tiefe Stille, dann glaube ich, ein Geräusch zu erkennen, ein kaum wahrnehmbarer Laut, so als würde ein Mensch, dem der Hals abgeschnürt wird, mit aller Kraft zu atmen versuchen. Das Geräusch baut sich immer weiter auf und wächst sich zu einem Brüllen aus, wie man es von einer Raubkatze erwarten würde.“ (111)

Präzise eingestreute Songzeilen – von Jacques Brel bis zu Marlene Dietrich –  werden zum Soundtrack der Handlung. So irrt der Protagonist durch die Straßen Sidi Ifnis, mit den Zeilen Marlene Dietrichs im Munde: „Jetzt gehe ich allein durch eine große Stadt und ich weiß nicht, ob sie mich lieb hat“ (44). Die Zeilen aus Van Morrisons Astral Weeks begleiten die Wüstenirrfahrt und markieren die Selbstfindung des Helden: „To be born again / In another world / In another time.“ (98)

Wolfgang Popp hat mit Wüste Welt eine Geistergeschichte geschrieben, die ganz ohne Geister auskommt. Die Spurensuche der Hauptfigur wird dabei durch fein dosierte Landschaftsbeschreibungen abgerundet. Am Ende der Lektüre sehnt man sich selbst nach der Weite der Wüste:„Am Horizont fließen sie ineinander, Himmel und Erde, so als wären sie eins. Als ob in der Wüste der erste Schöpfungstag rückgängig gemacht worden wäre. Falls Gott jemals Himmel und Erde getrennt hat, hier sind sie wieder zusammengeronnen zu der Ursuppe, die sie einmal waren.“ (91-92)

Wolfgang Popp Wüste Welt
Roman.
Wien: Edition Atelier, 2016.
160 S.; geb.
ISBN 978-3-903005-14-3.

Rezension vom 27.01.2016

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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