#Roman

Die Verschwundenen

Wolfgang Popp

// Rezension von Emily Walton

Was wurde eigentlich aus…? Die Frage nach dem Wohlergehen ehemaliger Schulkollegen, Kommilitonen und Lehrer taucht umso häufiger auf, je älter man wird und je mehr Bekanntschaften man im Leben gemacht hat.

Der Journalist und Autor Wolfgang Popp hat diese Frage zum Leitmotiv seines neuen Buchs gemacht: In Die Verschwundenen lässt er Figuren, die sich seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen haben, wieder aufeinander treffen. Manchmal werden sie zufällig gefunden, wie etwa in der allerersten Geschichte „Alpbacher oder das Mädchen aus der Asche“: Auf dem Stadtplatz in Sorrent begegnet der längst erwachsen gewordene Schüler „Lechner“ seinem Lateinlehrer. Es ist ein Wiedersehen der besonderen Art, denn der Lehrer hatte damals Hals über Kopf die Schule verlassen. Über Jahre hinweg hatte sich der Schüler gefragt, wo der Professor wohl hingegangen war. Und was sein Fortgehen mit der stillen, geheimnisvollen Klassenkollegin Anna zu tun hatte.
Andere „Verschwundene“ tauchen unerwartet, wie aus dem Nichts, wieder auf, noch dazu mit außergewöhnlichen Bitten: Zum Beispiel will der Ornithologe Philipp, dass sein Freund aus Studienzeiten ihn auf eine abenteuerlichen Reise nach Griechenland begleitet, um einen seltenen Kauz zu fotografieren.

Der leichtfüßige Ton lässt einen oft übersehen, dass es sich in jeder Geschichte um einen neuen Erzähler handelt, der von der Vergangenheit eingeholt wird – und freilich auch immer anders reagiert. Wie geht es einem in so einer Situation? Überwiegt Neugierde, Furcht, Schuld oder Unbehagen? Die Gegenüberstellung von Vergangenheit und Gegenwart ist dem Autor besonders gelungen: Er schildert die Erinnerungen und Assoziationen, zeigt, dass selbst nach vielen Jahren einem ein Blick, eine Tonlage, eine Geste vertraut vorkommen kann.

Popp, der selbst Sinologie und Geschichte studierte, hat das Buch mit vielen Fakten und historischem Wissen gespickt. Um dieses zu vermitteln, lässt er seine Figuren zahlreiche Anekdoten und Erfahrungen erzählen. So erfährt der Leser etwa von der Bedeutung der Wren Library in Cambridge, oder was passieren kann, wenn einem eine Eisenstange durch den Kopf gebohrt wird.
Dieses Verweben von Romanhandlung und Faktenwissen ist interessant, es bremst allerdings stellenweise den Lesefluss. Weil man sich gerade mit den klar gezeichneten, sympathischen Figuren angefreundet hat, gerade am Ort angekommen ist. Popp schafft es jedoch mit seiner bildhaften Sprache, die Schauplätze mit Leben zu füllen, seine genaue Beobachtungsgabe lässt ihn Stimmung und Lokalkolorit einfangen – egal ob in Italien, England, Österreich oder Sri Lanka. (Hier wird Popps Erfahrung als Reiseleiter deutlich.) Für jene, die mit den Handlungsorten nicht so vertraut sind, mag manches Detail ein wenig zu viel sein. Diese Längen werden aber wettgemacht durch Popps pointierten Humor: Etwa wenn er beschreibt, weshalb der Ornithologe mit der schwierigen Vater-Sohn-Beziehung eine Leidenschaft für Vögel entwickelt hat. „Als ich ihn einmal fragte, wie das (mit den Vögeln) angefangen hatte, erzählte er mir von einer Amsel, die seinem Vater bei einem Spaziergang auf den Kopf geschissen und dann noch Minuten lang völlig unbeeindruckt über dem Tobenden ihre Kreise gezogen hatte.“

Am Ende der 240 Seiten ertappt man sich beim Nachdenken darüber, wie man selbst auf Menschen aus seiner Vergangenheit reagieren würde: Würde man quer durch Europa, gar um die Welt reisen, um ihnen einen Gefallen zu tun?

Wolfgang Popp Die Verschwundenen
Roman.
Wien: Edition Atelier, 2015.
240 S.; geb.
ISBN 978-3-903005-02-0.

Rezension vom 08.01.2015

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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