#Roman

Vorläufig Lübeck

Alfred Gelbmann

// Rezension von Janko Ferk

Geht es um Alfred Gelbmann, und zwar als Gesamtkunstwerker, muss man auf zwei Tatsachen aufmerksam machen, die seine Existenz als Schreibender ergänzen. Erstens ist er – neben dem Verfassen eigener Literatur – Verleger und zweitens ein Bernhardologe, womit ich hoffe, diesen Terminus in die Germanistik eingeführt zu haben.

Doch zuerst zum Erstens. Alfred Gelbmann führt im oberösterreichischen Wels den Mitter Verlag, eine kleine Literaturedition, in der Autorinnen und Autoren wie beispielsweise Claudia Bitter, Petra Ganglbauer oder Bernhard Widder erscheinen und von der ich apodiktisch behaupte, dass sie in Österreich die bibliophilsten, drucktechnisch anspruchsvollsten und schönsten Bücher herstellt. Inhaltlich könnte ich nicht alle Werke beurteilen, weil ich nicht alle gelesen habe, ich halte Alfred Gelbmann jedoch für einen kritischen und kompetenten Buchmacher, weshalb ich überzeugt bin, dass sich hinter seinen Buchdeckeln kein literarischer Auswurf verbirgt. (Schön wäre es, wenn seine wertvolle Tätigkeit etwas mehr öffentliche finanzielle Unterstützung erfahren könnte.)
Und dann zum Zweitens, bevor Alfred Gelbmann als belletristischer Autor an die Reihe kommt. Er ist ein ausgewiesener Bernhard-Forscher, der mit der (Diplom-)Arbeit Beobachtungen zur Genealogie des Schreibens bei Thomas Bernhard (2012) zu seinen akademischen Ehren gekommen ist. Noch heuer soll der Essayband Der eigentliche Thomas Bernhard erscheinen.

Eigentlich könnte der Titel zu Alfred Gelbmanns neuester Prosa nicht bernhardesker lauten als er es tut, Vorläufig Lübeck, ist in programmatischer und dennoch nicht epigonaler Weise eine Überschrift, die auf eine gewisse Intention und – vor allem – literarische Tradition hinweist. Um es vorwegzunehmen, ein treffender Titel zu einem gelungenen Buch.
„Es gibt keinen Grund“, heißt es im ersten Satz, „ein Buch über Moser zu schreiben, und es gibt keinen, es nicht zu schreiben; und ist es schon einmal geschrieben, ist das kein ausreichendes Motiv, es zu lesen.“ Hier unterstütze ich Gelbmann nicht. Es gibt hinlänglich Beweggründe, seinen Moser zu lesen, obwohl Moser sozusagen lieber nicht möchte… Nur nichts Begonnenes zu Ende bringen. Die gelebte Vorläufigkeit ist die letzte verbleibende Möglichkeit, sich der übermächtigen Fremdbestimmung einer veränderten, nicht mehr fassbaren Welt zu entziehen. Oder ist es doch nur der unzulängliche Versuch, die selbstgewählten Mittel seiner Abdrift in die soziale Isolation zu heiligen… Gelbmann beschreibt sozusagen den Winkel, um den Moser durch den Wind des Lebens vom eigentlichen Kurs abgetrieben wird. Oder hat er für sich überhaupt keinen planmäßigen Verlauf ausgedacht, könnte man fragen.

Es geht um Moser und „die Lehner“, Nachkriegskinder aus der Muldenstraße, die versuchen, auf ihre jeweils eigen(ständig)e Art sich den Zwängen ihres unverschuldet in Zeit und Ort „Hineingeborenseins“ zu entziehen. Den Preis dafür nehmen sie anscheinend in Kauf. Es ist immer alles vorläufig. Sie gehen vorläufig miteinander. Und trennen sich nie endgültig. Nie definitiv. „Ihre Liebe ist, wenn es eine Liebe ist, eine Herkunftsliebe.“ Und später steht über die Liebe geschrieben, dass sie sich „nur unzulänglich mit dem eigenartigen Zusammenspiel vertrauter Fremdheit und unverbindlicher Zuneigung erklären lässt.“ Eigentlich eine gültige Begriffsbestimmung. Eine Formel, die sich verstehen lässt und die überzeugt.
Lehner, eine durchaus pragmatische Frau, will sich nicht länger verschenken – und prostituiert sich. Moser sucht nach erlittenem Beckenbruch Schutz vor den monströsen Bedrohungen durch die Maschinen im Stahlwerk, zieht sich mehr und mehr in den Kosmos seiner Welt, das heißt jener der Bücher, zurück, … geht nach Lübeck, aber immer nur vorläufig, kommt dort nie an, zumal es ihn immer woandershin verschlägt.
Nebenbei sei festgehalten, dass in der Hansestadt Lübeck, und zwar in der Mengstraße, Thomas Manns „Buddenbrooks“ spielen. Alfred Gelbmann gibt keinen Hinweis darauf, dass er auf sie anspielen wollte. Lübeck wird aber in Mosers projizierter Gegenwelt zur Muldenstraße und zur Metapher seiner gelebten Vorläufigkeit. Der zitierte Beginn verliert auch im eigenwillig ironischen Schluss, der hier naturgemäß nicht wiedergegeben wird, nichts an seiner latenten, das heißt vorläufigen Unbestimmtheit. Im Gegenteil.

Moser ist in Gelbmanns Romanen nicht zum ersten Mal der Protagonist. Wir stoßen auf diese Existenz bereits in „Trümmerbruch oder Die Entdeckung des Raums“ (2012). Dort ist er tatverdächtig und wird verurteilt. Mehr sei wiederum nicht gesagt. Analogien können jedoch zu Sprache und Stil festgehalten werden. Hier wie dort formuliert der Autor fast kühl, originär lapidar, konstruiert seine Sprache jedoch logisch, nachvollziehbar und verständlich.
Alfred Gelbmanns Literatur ist alles andere als eindimensional. Er ist ein Autor, der die Theorie und die Praxis gleichermaßen beherrscht. Intertextualität und –medialität sind für ihn keine Fremdwörter. Ironie, Paradoxie und Vorläufigkeit ergeben dann die originäre Sprache, die der Autor gebraucht.
In Vorläufig Lübeck reflektiert Gelbmann bewusst den „Trümmerbruch“ und vernetzt beziehungsweise zitiert sich sozusagen selbst. Es ist zu erwarten, dass wir in der österreichischen beziehungsweise deutschsprachigen Literatur nicht zum letzten Mal auf Moser, die Lehner und die Muldenstraße gestoßen sind. Vorläufig möge jedoch „Lübeck“ gelesen werden.

Alfred Gelbmann Vorläufig Lübeck
Roman.
Klagenfurt/Celovec: Sisyphus, 2017.
242 S.; brosch.
ISBN 978-3-903125-10-0.

Rezension vom 03.03.2017

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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