#Roman

Palmherzen

Margit Mössmer

// Rezension von Katia Schwingshandl

Wo liegt Quinindé? Wie schmecken eigentlich Palmherzen? Und was macht ein alter Gaul im Garten der Familie Muñoz? Letztere Frage stellt sich der Arzt und Fabriksbesitzer Jorge Oswald Muñoz. Er ist auch derjenige, der diesen wunderbaren Roman zusammenhält, seine Figur ist die logische Klammer der Geschichte und er begegnet uns im Universum Margit Mössmers nicht zum ersten Mal: Schon in ihrem ersten Roman„Die Sprachlosigkeit der Fische“ hat er die unglaublichen und unheimlichen Geschichten der Gerda erzählt, ohne eigentlich selbst darin vorzukommen. So dreht sich auch Palmherzen bei Weitem nicht bloß um ihn allein.

Denn der neue Roman von Margit Mössmer bietet für alle Menschen Platz, denen Jorge rund um den Ort Quinindé – einer Stadt im Küstenvorland Ecuadors – begegnet. Szenenhaft folgt er manchmal Jorge selbst, wenn er etwa seine unendlichen Bahnen im Pool zieht (zwzzzz, zwzzzz, zwzzzz, Wende), manchmal seiner Ehefrau Julia zwischen ihrem Lieblingsspiel Candy Crush und ihren Bemühungen um die der Fabrik angehängte Schule. Viel Raum gibt er auch Catita, der Schwester Jorges, die in der Nähe von Quito wohnt und deren Lebensinhalt nach der Trennung von einem Gangster daraus zu bestehen scheint, ihr Rum- und Rosa-Pillen-Problem vor der Welt verborgen zu halten. Dabei folgen die Szenen den Personen des Romans manchmal mehr, manchmal aber auch weniger lange: Von kurzen Schwenks auf einzelne bis hin zu langen ausführlichen Lebensgeschichten kommt uns in „Palmherzen“ alles unter. Yessica zum Beispiel, die Tochter Catitas, hat nur einen kurzen Auftritt, während wir über Angélica, ihr Hausmädchen, am Ende bestens informiert sind. Sind die Szenen anfangs noch rätselhaft, weil wir zu wenig Einblick haben, bewegen wir uns am Ende souverän durch den Dschungel an Namen und Geschichten.

Die auf den ersten flüchtig darübergeworfenen Blick idyllisch erscheinende Tropenwelt verwandelt sich rasch in ein realistisch gezeichnetes Bild des Lebens. Man könnte versucht sein, den Duktus des Romans als existentialistisch zu beschreiben, so schonungslos greift das Schicksal darin ein. Der detailgenaue und bildhaft bunte Erzählton ändert sich kaum, wenn der schon „gemüsige“, in der Hängematte vor sich hindümpelde Armando, Vater von Jorge und Catita, sein Leben aushaucht, wenn zwei Tote mit abgetrennten Köpfen aneinandergebunden gefunden werden, oder wenn Catita langsam aber stetig körperlich verfällt und sich in eine andere Welt verabschiedet. Im Gegenteil – und hier liegt eine klare Abgrenzung zur existentialistischen Literatur – die Tragik der Geschichte Catitas sorgt mitunter für die unterhaltsamsten Stellen im ganzen Roman. Das verzweifelte Verhaftet-Bleiben in einer längst vergangenen Liebesgeschichte, das ungeheure Den-guten-alten-Zeiten-Nachtrauern, in denen sie an der Seite eines echten Gangsters noch eine wichtige Rolle gespielt hat, sind sagenhaft lustig. Etwa wenn sie mit ihrer Tochter im Einkaufszentrum sitzt und dieser ihre Jugend neidet: „>Du bist auch nur ein Fleischhaufen mit Säften<, flüsterte Catita in ihren Kaffee. >Was sagst du?< >Ich kann dir das Tagesmenü mit Rindfleisch kaufen, hier gibt’s auch gute Säfte.<“ Spätestens wenn sie vor der ecuadorianischen Schönheitskönigin mit einem Besen auf eine Palme eindrischt, oder sich in einer Höhle als Shrimp wiederfindet, erreicht das Tragikomische seinen Höhepunkt.

Doch am Ende – und hier verblüfft die Autorin – schleichen sich über all jene Szenen und Geschichten die wahren, bedrückenden Themen in den Roman ein: Lehrerinnen sollen aufgrund der ungesicherten Wirtschaftslage der Palmherzenfabrik entlassen werden, Morde werden begangen. Hotels gehen in Konkurs, Hühner werden gerissen und geklaut, Polizisten wollen geschmiert werden und erpressen die Einwohner ohne jede Hemmung. In den Nachrichten erfahren wir regelmäßig das Neueste aus der Welt und sind damit erbarmungslos mitten im Geschehen, fühlen uns tatsächlich ‚upgedatet‘ und als Teil der Geschichte. Erst relativ spät merken wir dabei, dass es über all die Kapitel kaum eine Handlung gibt, deren Linie wir folgen könnten. Doch das stört uns, so weit im Roman fortgeschritten, schon gar nicht mehr. Stattdessen sind wir in die Lebensrealität zahlreicher Charaktere eingetaucht und haben weiterhin große Lust, der Autorin durch das gar nicht mehr so fremde Terrain zu folgen.

In diesem digitalisierten und modernen Ecuador Margit Mössmers (Der Hashtag EcuadorAmaLaVida existiert übrigens wirklich) gibt es nur noch ein Überbleibsel jener Unerklärbarkeit, die sie uns in ihrem Erstling präsentiert hat: Den uralten Gaul, der auf wundersame Weise sämtliche Kilometer und Zäune überwindet, um am Ende wieder im Garten Jorges zu stehen. Unerklärliche Elemente finden sich stattdessen in den durch die rosa Pillen ausgelösten Halluzinationen Catitas wieder, die sich seltsam passend in den Rest der Handlung einfügen.

Mit ihrem zweiten Roman Palmherzen legt Mössmer einen Text vor, der gerade durch seinen unaufgeregt leichten Erzählstil fesselt. Damit ist ihr die phantasiereiche und feinfühlige Erweiterung der Welt Jorges gelungen. Locker könnte sich der Roman noch über die zweihundertsechsunddreißig Seiten hinaus ziehen – und wer weiß, vielleicht begegnet uns auch im dritten Roman Jorge Oswaldo Muñoz? Der Geschmack von Palmherzen lässt sich übrigens am besten als zart, mild und nussig beschreiben.

Margit Mössmer Palmherzen
Roman.
Wien: Edition Atelier, 2019.
248 S.; geb.
ISBN 978-3-99065-004-2.

Rezension vom 04.03.2019

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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