#Roman
#Debüt

Die Sprachlosigkeit der Fische

Margit Mössmer

// Rezension von Antonia Rahofer

Wer ist Gerda? Ganz eindeutig lässt sich diese Frage auch nach beendeter Lektüre des Debütromans Die Sprachlosigkeit der Fische von Margit Mössmer nicht beantworten. Sicher ist: Sie ist die facettenreiche und gleichzeitig rätselhafte Protagonistin dieses Erstlingswerks der 1982 in Niederösterreich geborenen Autorin. Als inhaltliche Konstante und Klammer fasst Gerda dieses 131 Seiten lange Episoden-Konvolut zu einer erzählerischen Einheit zusammen.

Egal ob „in Watzelsdorf“ oder „in Warteposition“, 25 Kürzest-Kapitel führen stets direkt ins Geschehen – und dieses spielt sich jedes Mal in einem anderen, mehr oder weniger exotischen Erdteil ab. Ob Madrid, Bad Aussee, New York, Varna, Wien oder Istanbul: Metropole, Kleinstadt oder Dorf sind gleichermaßen Parkett für Gerda, diese kantenreiche und keineswegs auf den Mund gefallene Figur mit österreichischen Wurzeln und weltbürgerlichem Lebenswandel. Alles beginnt mit einer Reise nach Quito, zu der sich eine namenlose Ich-Erzählerin aufgemacht hat, um Gerda zu suchen. Erster Anhaltspunkt ihrer Recherchen ist ein Gespräch mit ihrem Onkel, dem Doktor Jorge Oswald Muñoz, mit dessen Hilfe sie mehr über Gerda in Erfahrung zu bringen hofft. Diese aber scheint unauffindbar zu sein. So sind es letztendlich Jorges Erinnerungen, die den Leser_innen ein schillerndes Kaleidoskop voller Gerda-Anekdoten nahebringen: „Weißt du Kindchen, ich habe da auf einmal so viele Bilder im Kopf.“

Und tatsächlich: Mössmers Reise durch die Welt und durch die Zeit, stets Gerda in unterschiedlichsten Lebens(schief-)lagen auf den Spuren, liest sich wie ein schräg koloriertes Bilderalbum mit unerwarteten Entdeckungen und Wendungen. So klar und realistisch die Autorin ihre Szenen entwirft, so unvermittelt verlieren sie und ihre Darsteller_innen aber auch wieder an Boden und gleiten wiederholt ab ins Surreale; Etwa wenn der Torrero Domingo vom Stier in der Arena bis auf den Kirchturmspitz hinaufkatapultiert oder Gerda von heimtückischen Seerosen an den Grund eines Sees hinabgezogen wird. Narrative Haken wie diese lassen die Handlung abrupt ins Absurde kippen und führen das Geschehen in vollkommen unaufgeregter Erzählweise auf einer der Realität und ihren Darstellungskonventionen enthobenen, fantastischen Ebene weiter. Aber auch dort geht das Leben weiter, zum Beispiel mit dem simplen Resultat, dass „(v)on da an (…) Domingo sein Leben im Kirchturm“ verbrachte. Ja, auch das kann eben passieren! Ob alzheimerkranke Hühner, betörende Knopfproduzenten, wirre Kellner, ein von Blut überschwemmtes Lokal oder ein Erdrutsch mitten in Paris: mit solchen und ähnlichen kuriosen Begleiter_innen und Hindernissen schlägt Gerda sich ein ums andere Mal herum.

Die Leser_innen erkunden dadurch – fast wie nebenbei, aber getragen von einem präzisen Beobachterblick – die Welt, ihre Menschen und Sprachvarianten. Insbesondere letztere bringt Mössmer gern direkt zu Wort und so stößt man u.a. auf gallinas, kremna rezina, big times, vin rouge, Kebapce. Darüber hinaus bietet das Gerdaglossar Übersetzungshilfe in punkto (ost-)österreichischer Dialektausdrücke wie Kukuruz, Sackrodel, Schlapfen oder Zuagraste. Die stilistische und inhaltliche Heterogenität dieses Romans gibt einen Einblick in das literarische Potential und die potentiellen Stoffe, aus der vielleicht auch zukünftige Werke von Margit Mössmer gestrickt sein könnten. Ethnografischer Reisebericht, pointierte Milieustudien (Vernissage, Zeltfest, Bahnhofscafé), treffsichere Situationskomik mit knappen, aber spritzigen Dialogen sowie erzählerische Ausflüge ins Surrealistische: In all’ diese Richtungen streckt der Roman liebäugelnd seine Fühler aus. Manche mögen in ihm auch Referenzen auf den Magischen Realismus lateinamerikanischer Chronisten oder gar auf dessen österreichische Varianten erkennen (man denke etwa an Peter Marginter und seinen 1966 vorgelegten Roman Der Baron und die Fische). So plötzlich wie Gerda in der Erzählung auftaucht, verschwindet sie wieder und die – weitgehend konturenlos bleibende – Ich-Erzählerin hat es auf ihrer Reise zu guter Letzt von Ecuador nach Mexiko verschlagen.

Figuren, Schauplätze und Handlungen sind bei Mössmer, was sie sind, jegliche Introspektive und Psychologie bleiben ausgespart. Kein Kommentar, keine versteckte Symbolik zwischen den Zeilen, keine Auflösung der Handlung. Gerade diese wohlüberlegte Akzentuierung und Reduziertheit und die Entscheidung, dem Geschehenen und Gesagten keine Erklärungen nachzuliefern sind es, die einen nach abgeschlossener Lektüre wahlweise vergnügt, nachdenklich, leicht irritiert oder fantasievoll beflügelt zurücklassen. Bleibt nur noch die Frage an die Autorin nach den sich – wie es den Eindruck macht – so schnell nicht erschöpfenden Bezugs- und Inspirationsquellen ihres wild mäandernden Geschichtenreichtums. Und die antwortet uns im letzten Kapitel – beinahe schelmisch – über den Umweg eines Márquez-Zitats: „Manche Menschen sagen, dass diese Geschichte eine fantastische Erfindung ist. Ich frage Sie: Und was habe ich dann die ganze Zeit über gemacht?“ Fakt ist: Wir wissen es nicht, auch wenn wir an manchen Stellen vielleicht meinen, durchaus erahnen zu können, aus welchen (Reise-und Lebens-)Erfahrungen sich Gerdas bewegtes Leben wohl speiste. Und das ist gut so!

Margit Mössmer Die Sprachlosigkeit der Fische
Roman.
Wien: Edition Atelier, 2015.
136 S.; geb.
ISBN 978-3-903005-05-1.

Rezension vom 11.05.2015

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

Informiert
bleiben

Sie können 3 Newsletter abonnieren:

  • Literaturhaus Wien News
  • Literaturhaus Wien Veranstaltungsprogramm
  • Österreichische Exilbibliothek News

Bitte schicken Sie uns eine entsprechende Nachricht mit dem Betreff „Newsletter bestellen“. Für Abbestellungen bitte im Betreff „Newsletter abbestellen“ schreiben.