#Prosa

Das Salzfass

Simon Sailer

// Rezension von Julius Handl

„Er hat es schon im Blick. Schlendert drauflos, beiläufig. Nicht schlecht, es sieht fast echt aus. Aber er will es, er hat mich gegrüßt, er will, dass ich ihm folge. Von selbst kauft er es nicht. Er will überredet werden, ich soll ihm das Fässchen schmackhaft machen. Ein schönes Stück, nicht? Wissen Sie, was das ist?“

Es kann nur ein antiquarisches Salzfass sein, das ein Wesen beherbergt, welches sich durch das Verschlingen von materiellem Wert am Leben hält. Oder etwa nicht? Simon Sailer spielt gern mit seinen Leser/inne/n. Für seinen gekonnten Umgang mit dem Uneindeutigen, dem Spiel von Fakt und Fiktion, wurde ihm unlängst der Clemens-Brentano-Preis 2021 verliehen. Das Salzfass unterstreicht diese Qualität einmal mehr: Die Erzählung dreht sich um das unheimliche Objekt, dessen Bedeutung in Sailers literarischem Kosmos vage bleibt, wenngleich er verschiedene Deutungsmöglichkeiten anbietet. Das ist nicht zuletzt wegen des gerahmten Aufbaus der Erzählung schwierig, wegen der unterschiedlichen Stimmen, denen es zu folgen gilt.

„Das Salzfass nahm sich so oder so, was es brauchte. Bislang hatte er zumindest den Anschein von Kontrolle bewahrt, indem er entschied, was er dem Fass überlassen wollte und was nicht. Auch das Wertexperiment war letztlich ein Versuch gewesen, Macht über das Objekt zu erlangen, dem er ausgeliefert war. Doch jetzt hatte er keine Macht über das Geflecht, das musste er sich eingestehen. So oder so, es bekam seinen Willen.“

Erzählerin ist eine Antiquarin, Protagonist jedoch Maurice Demel, seines Zeichens Antiquar außer Dienst. Nachdem sie sein altes Geschäft übernommen hat, versucht sie einen neugierigen Kunden für das Salzfass zu begeistern und beginnt seine Vorgeschichte zu erzählen. Darin kommt Maurice selbst zu Wort, wir begleiten ihn beim langsamen Abstieg in den Horror, den das Salzfass ihm aufzwingt. Ein weißer Krümel wächst darin zur nicht zu bändigenden Kreatur heran, und Maurice gelingt es selbst mit der Hilfe anderer Händler nicht, das Fass anzubringen. Das Fass scheint zu ihm zu sprechen, es wird ihm zur Obsession und zum Ausgangspunkt einer zunehmenden sozialen Isolation. Es ist nicht das erste Mal, dass Sailer Felder der Entfremdung durchstreift. Die Erzählung Die Schrift, konzentriert sich auf eine titelgebende antike Schrift, die den Protagonisten Leo Buri in die Niederungen der amerikanischen Peripherie treibt, wo er einen schleichenden sozialen Tod stirbt. Zwar bilden Die Schrift und Das Salzfass die ersten beiden Werke der „Essiggassen-Trilogie“ (der dritte Band ist noch nicht erschienen), wodurch eine thematische Nähe zu erwarten ist, jedoch tritt auch in Sailers Debütroman Menschenfisch der Protagonist eine Reise in eine Höhle an, die ihn sich schließlich einverleibt. Sailer begleitet mit erzählerischem Feingefühl seine Figuren beim Rückzug aus der Gesellschaft und ins Selbst, wo häufig Fragen nach der Identität warten, von denen die Figuren überwältigt werden. Gespickt mit vielen Verweisen legt er Fährten, um sie anschließend wieder zu verwischen.

„‚Aber im Ernst, was ist der perfekte Moment?‘ Raquel rutschte von ihrer Bank etwas nach unten und trank von dem Wein. ‚Der Moment, wenn die Rosen die Rosen sind, die in den persischen Gärten blühten, wo Saadi und Hafis sie sahen und liebten.‘ ‚Saadi und Hafis?‘ ‚Das sind persische Dichter.‘ Raquel schenkte Maurice und sich Wein nach.“

Natürlich wirken die Werke Sailers, denen in ihrer Auseinandersetzung mit der Ohnmacht vor den Dingen ein Hang zum Romantischen nachgewiesen werden kann, an den Themen der Zeit gespiegelt etwas, nun, eigen. Das Salzfass bildet hier keine Ausnahme. Dies sollte jedoch keinesfalls als Schwäche ausgelegt werden, sondern als das Beackern eines zur Zeit doch recht verwahrlosten Feldes. Nichts zwingend „altmodisches“ oder „aus der Zeit gefallenes“ haftet an den Werken, wie von Kritiker/inne/n konstatiert wurde, sondern etwas, das deshalb fremd anmutet, weil es im Rahmen zeitgenössischer Debatten keinen Platz findet. Dessen Relevanz herauszuarbeiten, gelingt Sailer mit seinen neugierigen, aber doch ausgelieferten Figuren durchaus: Er schreibt sie ein in eine Welt, in der sich verschiedene Zeiten überlappen, geografische und kulturelle Besonderheiten mit einbezogen werden, eine Welt, deren fantastische Fülle sich vor die Erkenntnis ihrer Bewohner/innen drängt. Sailer schreibt nicht weltfremd, sondern ihr zugewandt, mit einem besonderen Auge für die Schatten- und Rückseiten der Dinge. Die Faszination für Uneindeutigkeiten darf dabei als Erinnerung an Kommunikation als eines der grundlegendsten Probleme des Menschen gelesen werden. Durch den zuweilen fantastischen Erzählton wird immer wieder die Frage nach der Wirklichkeit gestellt und somit auch immer wieder die Möglichkeit in den Raum gestellt, vom Schein ums Sein betrogen zu werden. Diese Problematik führt auch Maurice wieder in die Isolation, wo Kommunikation verebbt und die Dinge anfangen, den Protagonisten zu verwildern.

„Als Karl endlich kam, versteckte ich mich vor ihm. Ja, aus Scham! Ich zog an den Waldrand, nahe ans Dorf. Dort baute ich aus Ästen und Laub eine löchrige Hütte. Nachts wühlte ich im Müll hinter der Pizzeria. In einem Plastikkanister sammelte ich Regenwasser und trank davon. Wieso ich nicht zurückkehrte? Ich wagte es nicht. Ich hatte einen Punkt überschritten, von dem kein Weg in die Zivilisation zurückführte.

Wie der Autor selbst behauptet, wählte er für die Trilogie eine „blumigere“ Sprache als noch in seinem Debütroman Menschenfisch. Es lässt sich argumentieren, dass das prominente Fass der Erzählung eine Sprache abverlangt, die die antiquarische Atmosphäre stützt. Allerdings scheint dieser Sprache die Erzählung immer wieder zu entgleiten, zum Beispiel wenn zwischen den Erzählebenen (Antiquarin – Maurice) gewechselt wird. In solchen Momenten vermisst man die Schärfe, die Sailer in seinem Menschenfisch schon präsentiert hat. Trotzdem kann man von einem aktuellen Text sprechen, der sich nicht dabei gefällt, eine alte, vergangene Form wiederzubeleben: Durch die Rahmenerzählung und die Antiquarin, die gegen die Leere des Papiers anzusprechen scheint (ihr Gegenüber kommt nicht zu Wort), befeuert Sailer jene groteske Atmosphäre, die sich inhaltlich über das obskure Salzfass herstellt.

„Ich habe es gefühlt, dass er wiederkommt. Fast hätte ich es auch gesagt, dass ich es fühle, aber so sicher war ich mir wieder nicht, und man muss mit falschen Prophezeiungen vorsichtig sein, sonst glaubt einem keiner die, bei denen man sich wirklich sicher ist.“

Unterstützt wird Das Salzfass durch Illustrationen von Jorghi Poll, die mal ergänzend, mal doppelnd auf die Erzählung einwirken. Brauchen tut dieser Text diese Unterstützung allerdings nicht, er spricht ganz für sich. Sailer bewegt sich mutig durchs Dickicht der Dinge und vereint zeitlose Wirklichkeitsskepsis mit passenden Gegenwartsbetrachtungen. Wenn der Clemens-Brentano-Preis an „aufstrebende Talente der Literaturszene“ vergeben wird, darf man davon ausgehen, dass hier noch Spannendes folgen wird.

Simon Sailer Das Salzfass
Erzählung.
Mit Illustrationen von Jorghi Poll.
Wien: Edition Atelier, 2021.
128 S.; geb.
ISBN 978-3-99065-046-2.

Rezension vom 06.09.2021

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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