Call for Papers:

Widerständiges Schreiben.
Lili Körber – Literatur, Politik und Exil

Die Tagung des Käte Hamburger Kollegs global dis:connect (LMU München) und die darauf aufbauende Publikation widmen sich der Schriftstellerin und politischen Publizistin Lili Körber (1897–1982). Die promovierte Literaturwissenschaftlerin und Schriftstellerin, die als Tochter einer österreichischen Kaufmannsfamilie 1897 in Moskau geboren wurde und später in Wien lebte, war Mitglied der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP), der Vereinigung sozialistischer Schriftsteller und des Bundes der Proletarisch-Revolutionären Schriftsteller Österreichs.

English version below

Dieses politische Engagement äußerte sich auch in ihrer publizistischen Arbeit. Lili Körber schrieb für politisch linke Periodika wie die „Wiener Arbeiter-Zeitung“, „Bildungsarbeit“, die „Rote Fahne“ und die „Arbeiter-Illustrierte-Zeitung (AIZ)“. Gemeinsam mit Anna Seghers und Johannes R. Becher folgte sie 1930 einer Einladung des Moskauer Staatsverlags zu einer Reise in die Sowjetunion. Sie wollte die Lebens- und Arbeitsverhältnisse der Menschen kennenlernen, indem sie mehrere Monate als Bohrerin in den Putilow-Traktorenwerken in Leningrad arbeitete, ein Betrieb mit einer „bekannte[n] Geschichte revolutionären Widerstandes während der Zarenzeit“ (Hertling 1982). Ihre Erfahrungen verarbeitete sie in dem Tagebuch-Roman „Eine Frau erlebt den roten Alltag“, der 1932 bei Rowohlt Berlin erschien, 239 Seiten umfasst und dessen Umschlag von John Heartfield gestaltet wurde. Körber arbeitete im Genre des dokumentarischen Romans, indem sie neben den Tagebuchnotizen, die authentische und persönliche Erfahrungen vermitteln, auch Dokumente wie Lohnzettel oder Seiten aus ihrem Arbeitsbuch reproduzierte.

Lili Körbers Roman „Eine Jüdin erlebt das neue Deutschland“ von 1934 gehört zu den ersten gegen den Faschismus gerichteten Büchern, die der Übergangszeit zwischen dem Ende der Weimarer Republik und der Etablierung des NS-Staates gewidmet sind. In ihm wird die ideologische Durchdringung der Gesellschaft prägnant beschrieben. In der Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums (Stand Oktober 1935) werden „Sämtliche Schriften“ von Lili Körber indiziert. 1933 gehörte „Eine Frau erlebt den roten Alltag“ zu den verbrannten Büchern. Eine 1934 nach Japan und China unternommene Reise fand literarischen Ausdruck in der Reisereportage „Begegnungen im Fernen Osten“ (Biblios Verlag, Budapest 1936) und in „Sato-San, ein japanischer Held. Ein satyrischer Zeitroman“, eine 1936 in der Wiener Lesegilde erschienene Beobachtung des japanischen Faschismus, die auch als Hitler-Parodie lesbar ist. Körber ließ sich auch durch die Verbrennung und das Verbot ihrer Bücher im Nationalsozialismus nicht davon abhalten, politisch zu publizieren.

Kurz nach dem sogenannten Anschluss Österreichs floh Körber aus Wien über einen Zwischenstopp in Zürich nach Paris, wo sie für Schweizer Zeitungen und das Pariser Tageblatt schrieb. Noch ab April 1938 erschien in der sozialdemokratischen Zeitung „Volksrecht“ in Zürich der Fortsetzungsroman „Eine Österreicherin erlebt den Anschluß“, in dem Körber unter dem Pseudonym Agnes Muth ihre Beobachtungen in der bereits bewährten Form eines Tagebuch-Romans verarbeitete. Schließlich emigrierte sie im Juni 1941 mit Unterstützung des Emergency Rescue Committees über Lissabon nach New York, wo sie als Fabrikarbeiterin und Krankenschwester tätig war. Ihre schriftstellerische Tätigkeit war nur noch stark eingeschränkt möglich, neben wenigen Zeitungsartikeln, etwa in der in Buenos Aires erscheinenden Emigrantenzeitung „Das andere Deutschland“, publizierte sie 1942/43 in der deutschsprachigen New Yorker „Anti-Nazi Newspaper“ „Neue Volks-Zeitung“ noch den Fortsetzungsroman „Ein Amerikaner in Russland“, der als Kritik am Stalinismus gelesen werden muss. 1949 entstand ihr englischsprachiger Roman „Farewell to Yesterday“, der unveröffentlicht blieb. In Deutschland und Österreich geriet Körber als Folge politischer Verfolgung, der Konfiszierung und Zerstörung ihrer Bücher und ihrer Emigration ins Vergessen. Heute befindet sich ihr literarischer Nachlass im Deutschen Exilarchiv 1933-1945 in der Deutschen Nationalbibliothek. Nur vereinzelt wurde Lili Körber in den vergangenen Jahrzehnten wieder in den Blick gerückt. In den 1980er Jahren kam es zu Neuausgaben einiger ihrer Bücher, Forschungsliteratur zu Körbers Texten wurde in den 1990er Jahren publiziert.

Die Tagung soll Lili Körbers Œuvre erstmals aus interdisziplinären Perspektiven diskutieren und als Beispiel einer von Dis:konnektivitäten geprägten Werk-Biografie betrachten. Die Autorin soll in den größeren Kontexten von Politik, Literatur, Kunst und Gender in einer von politischen Umbrüchen bestimmten Zeit verortet werden. Von dieser Auseinandersetzung mit der politisch schreibenden und schriftstellerisch politisch handelnden Lili Körber versprechen wir uns auch einen möglichen Blick zurück in unsere Gegenwart, die zunehmend von Extremismus, Rassismus und Antisemitismus geprägt ist.

Wir laden ein, sich mit Beitragsvorschlägen für ca. 20minütige Vorträge an uns zu wenden. Themen – gern in größerer Perspektive, aber in Rückbezug auf Lili Körber – könnten sein:

  • Sozialistisches Publizieren, politische schriftstellerische Arbeit
  • Beiträge zu Lili Körbers literarischem Oeuvre zwischen Zeitroman und Exilliteratur
  • Künstlerische und politische Netzwerke vor, während und nach der Exilierung
  • Reiseliteratur von Schriftsteller*innen
  • Russlandreisen (vgl. etwa zu Grosz (Kunst), Erich Mendelsohn (Architektur), Valeska Gert (Tanz) usw.)
  • Schriftsteller*innen auf Japan- und Chinareisen in den 1930er Jahren
  • Verbrannte Bücher
  • Jüdische Sozialistin
  • Widerstand gegen den NS, antifaschistische Romane
  • Schreiben im Austrofaschismus
  • (Linke) Antistalinistische und antikommunistische Journalistik und Literatur
  • Exile (Schweiz, Paris, New York)
  • Zeitungen, Zeitschriften, Bücher und Verlage

 

Abstracts mit einer Länge von max. 2.000 Zeichen und mit einer Kurzbiografie in einem pdf sollen bis zum 10.4. an Prof. Dr. Burcu Dogramaci (burcu.dogramaci@lmu.de), Dr. Günther Sandner (guenther.sandner@univie.ac.at) und MMag. Veronika Zwerger (exilbibliothek@literaturhaus.at) geschickt werden. Tagungssprache: Deutsch und Englisch. Reise- und Unterkunftskosten können anteilig erstattet werden. Die Veröffentlichung der Beiträge ist geplant. Abgabe der Manuskripte: 31. März 2025.



Tagung
des Käte Hamburger Kollegs global dis:connect (LMU München) in Kooperation mit dem Literaturhaus Wien / Österreichische Exilbibliothek, organisiert von Burcu Dogramaci und Günther Sandner unter Mitarbeit von Veronika Zwerger

Datum: 14. und 15. November 2024
Ort:
Österreichische Exilbibliothek im Literaturhaus Wien

Resistant writing. Lili Körber – literature, politics and exile

The conference and the edited volume we plan to publish are dedicated to the writer and political publicist Lili Körber (1897–1982). The accomplished literary scholar and writer, Muscovite by birth and later resident of Vienna, was a member of the Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP), the Vereinigung sozialistischer Schriftsteller and the Bund der Proletarisch-Revolutionären Schriftsteller Österreichs.

She wrote about her experiences in the autobiographical novel “Eine Frau erlebt den roten Alltag”, which was published by Rowohlt Berlin in 1932 and whose cover was designed by artist John Heartfield. Körber created historical novels by reproducing documents such as pay slips and pages from her employment record book alongside her diary entries, which convey authentic and personal experiences.

Lili Körber’s 1934 novel “Eine Jüdin erlebt das neue Deutschland” is one of the first anti-fascist books to treat the transitional period between the end of the Weimar Republic and the establishment of the Nazi state. It succinctly describes the ideological permeation of society. By October 1935, all of Körber’s writings were on the list of banned literature. “Eine Frau erlebt den roten Alltag” was one of the books burnt in 1933.

In her travelogue “Begegnungen im Fernen Osten” (Biblios Verlag, Budapest 1936) and “Sato-San, ein japanischer Held. Ein satyrischer Zeitroman” (Wiener Lesegilde, 1936), a satirical observation of Japanese fascism that can also be read as a parody of Hitler, she covered her 1934 journey to Japan and China. Not even the burning and banning of her books under National Socialism could prevent Körber from writing politically.

Shortly after the “Anschluss”, Körber fled Vienna, stopping over in Zurich before reaching Paris, where she wrote for Swiss newspapers and the “Pariser Tageblatt”. From April 1938, the social democratic newspaper “Volksrecht” in Zurich published “Eine Österreicherin erlebt den Anschluß”, in which Körber, under the pseudonym Agnes Muth, again processed her observations in a diary novel. She finally emigrated in June 1941 with the support of the Emergency Rescue Committee via Lisbon to New York, where she worked in a factory and as a nurse. Beyond a few newspaper articles in, for example, the Buenos Aires emigrant newspaper “Das andere Deutschland”, she published the novel “Ein Amerikaner in Russland”, in 1942/43 in the German-language New York ‘anti-Nazi newspaper’ “Neue Volks-Zeitung”. This text published in 1942-43 could be read as a criticism of Stalinism. In 1949, she wrote her unpublished English-language novel “Farewell to Yesterday”.

In Germany and Austria, Körber fell into oblivion as a result of political persecution, the confiscation and destruction of her books and her emigration. Today, her literary estate can be found in the Deutsches Exilarchiv 1933–1945 in the Deutsche Nationalbibliothek in Frankfurt/Main. Lili Körber has only occasionally been exhumed in recent decades. New editions of some of her books appeared in the 1980s, and published research on Lili Körber dates to the 1990s.

At the conference, we will discuss Lili Körber’s oeuvre for the first time from an interdisciplinary perspective and consider it as a corpus exemplifying dis:connectivities. The author will be situated in the contexts of politics, literature, art and gender at a time of political upheaval. We hope that examining Körber as a political activist and writer will also reflect back on the present, which is increasingly characterised by extremism, racism and anti-Semitism.

We welcome proposals for presentations of around 20 minutes. Topics – preferably from a broader perspective, but with reference back to Lili Körber – could include:

  • Socialist publishing, political writing
  • Contributions to Lili Körber’s literary oeuvre between contemporary novel and exile literature
  • Artist and political networks before, during and after exile
  • Travel literature by professional writers
  • Journeys to Russia (see, for example, Grosz (art), Erich Mendelsohn (architecture), Valeska Gert (dance), etc.)
  • Writers travelling to Japan and China in the 1930s
  • Burnt books
  • Jewish socialists
  • Anti-Nazi resistance, anti-fascist novels
  • Writing under Austrofascism
  • (Left-wing) anti-Stalinist and anti-communist journalism and literature
  • Exile (Switzerland, Paris, New York)
  • Newspapers, magazines, books and publishing houses

Abstracts of no more than 2,000 characters and a short biography should be sent in a single pdf file to Prof. Dr. Burcu Dogramaci (burcu.dogramaci@lmu.de), Dr. Günther Sandner (guenther.sandner@univie.ac.at) and MMag. Veronika Zwerger (exilbibliothek@literaturhaus.at) by 10 April. The conference will be bilingual, with presentations in German and English. Partial reimbursement for travel and accommodation costs might be available. The organisers plan to publish an edited volume of the contributions. Deadline for manuscripts: 31 March 2025.



Conference
of the Käte Hamburger Research Centre global dis:connect (LMU Munich) in cooperation with the Literaturhaus Wien / Österreichische Exilbibliothek, organised by Burcu Dogramaci and Günther Sandner in collaboration with Veronika Zwerger

Date: 14–15 November 2024

Location: Österreichische Exilbibliothek im Literaturhaus Wien

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