#Prosa

Zwölfeläuten

Heinz R. Unger

// Rezension von Sabine E. Selzer

Ein steirisches Bergdorf im Vorfrühling 1945. Das Dritte Reich liegt in den letzten Zügen, die Russen stehen schon in Ungarn, und die Parteigenossen der ersten Stunde geraten in eine weltanschauliche Krise. Mit der Partisanenbekämpfung an der Heimatfront wills nicht so recht klappen, wer bis jetzt nicht in den Krieg ziehen musste, wird sich ihm zu Hause schon gar nicht stellen. Ortsgruppenleiter und Ortsvorsteher habens schwer in diesen Zeiten. Mit ein paar alten Männern, verstärkt gerade noch durch Pfarrer und Dorfdepp, ist sowieso kein Staat zu machen. Und eine Front schon gar nicht. Und zu allem Überfluss gewinnt bei den bis jetzt so braven Nazis Bauernschläue die Oberhand, und keiner will sich mehr was sagen lassen. Gegen eine Mauer gespielter Naivität und verstockten Schweigens rennt auch ein respektabler Kreisleiter vergebens an.

Der stößt bei seiner Untersuchung auf himmelschreiende Ungereimtheiten, es riecht sogar nach Hochverrat. Aber aus diesen Bauern ist nichts herauszukriegen. Zuerst wird der traurige Haufen nicht einmal mit ein paar Banditen fertig und lässt die SS in einen Hinterhalt der Partisanen laufen, die sich schließlich vielleicht sogar im Dorf verstecken, und dann verschwindet auch noch die Glocke aus dem Kirchturm, einen Tag, bevor sie für Führer, Endsieg und Wunderwaffe eingeschmolzen werden soll. Die schwere Kirchenglocke, die ein Dutzend starke Männer gerade schleppen können, spurlos verschwunden, und jeder nix gehört und nix gesehn…

Heinz R. Ungers bekanntestes Stück Zwölfeläuten nimmt Nazibonzen und Mitläufer aufs Korn – und setzt nicht zuletzt dem österreichischen Widerstand ein Denkmal. Das Bühnenwerk, Mitte der 80er Jahre mit großem Erfolg uraufgeführt, feiert nun ein doppeltes Comeback: als Film und als Erzählung. Schon das Theaterstück hätte ursprünglich ein Drehbuch werden sollen. Nun, 16 Jahre später, sah Unger sein Projekt nun endlich in die Tat umgesetzt. Am 21. Oktober 2001 soll die ORF-Produktion Zwölfeläuten erstmals ausgestrahlt werden.

Die gleichnamige Erzählung ist kürzlich bei Haymon erschienen. In turbulenten und vor allem äußerst komischen Szenen hat Unger seinen Stoff in Prosa umgesetzt, eine Prosa, die sehr nahe mit dem Theater verwandt ist. Manche Passagen lesen sich fast wie Regieanweisungen. Das stört aber keineswegs, unterstreicht vielmehr den Modellcharakter des Erzählten, das fiktive Dorf Sankt Kilian steht pars pro toto für das ganze Land. Distanziert und ironisch präsentiert der Erzähler seine Figuren, ländliche Originale, alle verschmitzt auf den eigenen Vorteil bedacht.

Zwölfeläuten ist ebenso der Tradition des Volksstücks verpflichtet wie jener der österreichischen Dorfliteratur der Nachkriegszeit. Vergleiche allen voran mit Hans Lebert drängen sich auf und sind doch fehl am Platz. Sankt Kilian trägt keine dämonisch-bedrohlichen Züge, und wenn auch die Schrecken der Nazizeit keinesfalls bagatellisiert werden, stehen sie doch nicht im Vordergrund. Unger ging es vor allem darum, die Freiheitskämpfer ins öffentliche Bewußtsein zu rufen: die steirische Partisanengruppe Leoben-Donawitz, die „einzige bewaffnete Widerstandsbewegung, die aus der Bevölkerung heraus und ohne äußere Initiation entstanden war.“ Auch die verschwundene Kirchenglocke ist nicht frei erfunden, etliche authentische Beispiele für „Glockenraub“ sind bekannt, das „Zwölfeläuten“ als Symbol für eine Dorfgemeinschaft – oder Widerstand aus Sturheit.

Spannend sind sowohl der Stoff als auch die Umsetzung. Der Dorftrottel agiert meist schlauer als seine Mitbürger, der Pfarrer predigt recht zweideutig, und die geschätzten Nachbarn wissen ganz genau, wie sie einander gegenseitig unter Druck setzen können – und zum Schweigen bringen. Kaum einer, der nicht doch ein wenig Dreck am Stecken hätte. Und dass sich ausgerechnet die Tochter des Ortsvorstehers in einen Widerstandskämpfer, einen „Banditen“ verliebt, hätte sich der werte Vater zu Kriegsbeginn wohl auch nicht träumen lassen. Der Autor selbst bezeichnet die Dorfgemeinschaft Sankt Kilian „als Symbol für die Menschheit schlechthin. In der Sammlung ihrer Qualitäten ist alles enthalten, was unsere Vergangenheit bestimmte und unsere Zukunft sein könnte: Himmel oder Hölle, je nachdem.“

Zwölfeläuten.
Erzählung.
Innsbruck: Haymon Verlag, 2001.
127 Seiten, gebunden.
ISBN 3-85218-360-X.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Rezension vom 17.10.2001

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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