#Prosa

Zwischenergebnis

Janko Ferk

// Rezension von Eva Maria Stöckler

Gesammelte Prosa.

Ich will im Geschriebenen zuhause sein. Und in der Sprache.
Ein Zwischenergebnis ist etwas Vorläufiges, ein Zwischenstand, der dem Endstand, dem Endergebnis vorausgeht. Ein Zwischenergebnis blickt in die Vergangenheit, nicht in die Zukunft. Wer ein Zwischenergebnis vorlegt, geht davon aus, dass es auch ein Endergebnis geben wird.

Janko Ferk blickt in seinem 2018 veröffentlichten Zwischenergebnis auf 40 Jahre Prosatexte zurück, nicht ohne genau darzulegen, worauf seine Auswahl beruht: Prosa, einzeln veröffentlichte, nie gesammelte, aufs Neue gelesene und sprachlich überarbeitete. Nicht aufgenommen sind „andere sogenannte Textsorten“, Aufsätze, Essays, Glossen, Kommentare, Stellungnahmen, Wortmeldungen und Zwischenrufe zu politischen Themen, die er strikt von der Literatur, von der Belletristik, getrennt wissen will.

Das Sammeln von bereits veröffentlichten Prosatexten in einem Sammelband – auch aus dem Anlass eines Geburtstages in Angriff genommen – hat zunächst zur Folge, dass diese Texte aus ihren ursprünglichen Kontexten herausgebrochen werden und damit ihr vormaliges Beziehungsgeflecht, ihr Bedeutungsgewebe verlieren. Sie treten hinaus aus ihrem Bezugssystem, treten hervor als besonders bedeutend, werden unabhängig, selbstständig, gereift, erwachsen, und treten hinein in eine neue Ordnung und in neue Bedeutungszusammenhänge.

Diese neue Ordnung ist zunächst eine höchst gewöhnliche, weil chronologische. Janko Ferks „Werk-Kontinuität“ folgt dem Entstehungsdatum der Texte, das jedoch ebenso wenig vermerkt (und offenbar so wenig bedeutend) ist wie die Herkunft der Texte. Der Autor überantwortet der Zeit die Verantwortung für die neue Ordnung. Und die Zeit ist eine mächtige Ordnerin, die nie zurückblickt, sondern nur nach vorne, rück-sichts-los, unaufhaltsam. Manchmal nur lässt sie sich täuschen, indem man ihr einen scheinbaren Moment des Innehaltens, des Zurückblickens, des „Zwischen-Berichtens“ abtrotzt.

Und dennoch schafft diese an sich völlig bedeutungslose chronologische Reihung einen neuen Sinn, denn jeder der Texte übergibt dem folgenden ein Motiv oder ein Wort, einen Gedankensplitter, eine Figurenkonstellation, manchmal auch nur ein Pronomen und dann wieder eine ganze Geschichte, die aufgenommen, variiert, in neue Kontexte gestellt wird. Dadurch entsteht ein übergeordneter motivischer Bogen, eine zweite Bedeutungsebene, deren Anordnung zwar der Zeit folgt, diese aber durch den entstandenen neuen Sinnzusammenhang außer Kraft setzt. Wie ein unsichtbares Band verbindet es die Geschichten miteinander und lässt die Anordnung dieser Texte als so und nicht anders einzig stimmig erscheinen. Obwohl es unwichtig ist, ob dies gewollt, in Kauf genommen, zufällig passiert oder ob nur ich meine, hinter dieser Ordnung eine Bedeutung entdeckt zu haben: Bedeutung hat das, was wir als bedeutend wahrnehmen, zu beschreiben ist das, was da ist.

Als da sind: dreiunddreißig Prosatexte, eine „Notiz zum Buch“ und anstatt eines Nachwortes ein Text mit dem Titel „Landnahme und Fluchtnahme“, der vieldeutig (und erst am Ende des Bandes!) mit „Er über sich“ beginnt: Die schönste Landschaft, so Ferk, sei das Schreiben, jene Landschaft, die er in den ersten Texten – über die Entscheidung für das Schreiben und das Selbstverständnis als Schriftsteller – betritt und bis zum Schluss nicht verlässt: „Verstehe ich mich nicht, wird mich auch ein anderer kaum verstehen.“

Diese seine Schreiblandschaft ist äußerst abwechslungsreich, inhaltlich, sprachlich, stilistisch, und wer nicht aufpasst, kann sich an einem der die Landschaft gliedernden Textblöcke empfindlich den Kopf stoßen. Vor allem aber ist sie von allerlei skurrilen Figuren bevölkert: ein Verstorbener, der im Testament verfügt, auf dem Bauch liegend begraben zu werden, ein verzweifelter Ehemann, der Schriftsteller entführt, um sie in seinem Keller gefangen Texte verfassen zu lassen, sie zwingt „Schreibarbeit“ zu leisten, ein anderer, der „bis auf einen einzigen bedeutungsträchtigen Satz (Der Tod wird noch alle Menschen überleben.)“ nichts von sich gegeben hat und dennoch – oder vielleicht gerade deswegen – ein gewaltsames Ende findet. Eine detailreiche Beobachtung eines Schnecken-Essers, die statistische Vermessung des Zeitungsangebots in einem Klagenfurter Café – samt dem zum Interieur gehörigen „Kaffeehausliteraten“ -, oder die Gegenüberstellung der Beteiligten an einem Fußballspiel und einer Gerichtsverhandlung gehören ebenso dazu wie die Auseinandersetzung um die Kärntner Zweisprachigkeit, die Ferk in ein seltsam anmutendes Märchen von „den armen Tafelstürmern“ „Horst und Metka“ steckt. Das Phantastische dieser Geschichten, aber auch die ironische Brechung stehen jedoch nie im Vordergrund: es ist nur oder ganz besonders die äußere sprachliche Form, die notwendig ist, um die innere Botschaft in diese Landschaft zu setzen. So dienen die Auszüge aus fiktiven Gesetzestexten, die die „Buchführung“ von Schriftstellern und die Abhaltung von „Dichterlesungen“ regeln sollen – „Äußerungen des Beifalls und der Missbilligung sind untersagt.“ – nicht nur der kritischen Blickwerfung auf den Literaturbetrieb, sondern durchaus auch der Verortung seiner selbst in ebendiesem, die von der Haltung einer wohlmeinenden und kritischen Distanz geprägt ist. Dass das Schreiben nicht der Literaturbetrieb ist, zeigt Ferk in jenen Texten, die sich Begegnungen mit Schriftstellerkolleginnen und –kollegen wie Erich Fried, Helmut Eisendle, Marianne Gruber und Bernhard Hüttenegger zuneigen.

Über allem aber schwebt der „Literaturheilige“ Franz Kafka, jene Konstante in Ferks Prosawerk, die auch hier in mehreren Texten ihren Platz findet, und in die sich Ferk immer wieder neu hineinschreibt. Es ist ein im Schreiben Begreifen, ein Hereinholen des anderen, ein „Sich-an-eignen“ mit eigenen Worten, der eigenen Sprache, die diese Welt erst bewältigen kann. Schreiben, das ist ein sich Bewegen in Zwischenräumen, in Spielräumen, wie es bei Kafka, einem “ der größten Zwischenraumforscher“, der Fall ist.

Diese Bewegung in sprachlichen Spielräumen kann jedoch nur gelingen, wenn man, wie Janko Ferk, der Sprache vertraut, wenn man das Wort und seine Bedeutung ernst nimmt, es manchmal auch seziert und ihm auf den Grund geht – erst dann lässt sich daraus die sprachliche und stilistische Vielfalt gewinnen, die zum Bemerkenswertesten von Janko Ferks 40 Jahre umfassenden Prosawerk gehören.

Janko Ferk spricht nicht eine Sprache, er spricht auch nicht zwei Sprachen. Er spricht viele Sprachen. Sein Schreiben ist ein Anschreiben gegen das Verlorengehen und Vergessenwerden, ein Versuch, Gedanken vor dem Verschwinden zu bewahren, ein Schreiben gegen die Zeit, die sich mit dem Fortlauf der Jahre immer vordergründiger und immer weniger vorläufig bemerkbar macht. Dass es sich dabei jetzt „nur“ um ein Zwischenergebnis handelt, lässt hoffen – und dem Jubilar wünschen – dass das Endergebnis noch recht lange auf sich warten lässt!

Janko Ferk Zwischenergebnis
Prosatexte.
Graz, Wien: Leykam, 2018.
241 S.; geb.
ISBN 978-3-7011-8100-1.

Rezension vom 05.11.2018

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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