„trifft mich / die leichtigkeit des seins / womöglich / an der nächsten ecke / passe ich“ (S. 8). Wie ein programmatischer Vorausblick auf noch Kommendes liest sich dieses Gedicht auf einer der ersten Seiten von Waltraud Haas‘ neuem Lyrikband. Und wahrlich – zu leicht hat sich die Autorin die Arbeit keinesfalls gemacht, denn bis ins verflixte siebente Jahr hat sie sich für das im Umfang, keineswegs aber im Inhalt schmale Büchlein „Zwerchfellgewitter“ Zeit gelassen, das diesen Herbst im Klever Verlag erschienen ist. Gelungen ist ihr eine vielfältige und mit poetischen Kleinoden angereicherte Sammlung an Gedichten, die nur die geduldige Arbeit an der Zeit zu dem machen konnte, was sie sind, und sie überzeugen vor allem durch ihr Zusammenspiel aus semantischer Tiefe und sprachlicher Souveränität sowie durch ein ausgeprägtes und konsequent umgesetztes Formbewusstsein.
Der angedeutete Gedanke einer unerträglichen Leichtigkeit des Seins schwingt in der Mehrheit der Gedichte mit, diese antworten zuweilen mit einem Hauch von Ironie, sind getragen von einem Sinn der Verspieltheit. So liest man zunächst noch: „bombenkrater / ein weiser elefant / sucht sich / ein stilles plätzchen“ (S. 18) – unmittelbar daran anknüpfend aber auch: „auf dem rüssel / meines weißen elefanten / tanzt / ein blauer regenschirm“ (S. 19). Dieses Spiel treibt stets ein konsequent durch-dachtes, weil auch lebens-notwendiges Moment der Berechnung an: „ich spiele / um mein leben / ich spiele / gewissenhaft“ (S. 36)
Waltraud Haas‘ Lyrik besticht durch ihre Kürze: So führt sie uns Miniaturen vor, denen kein Korsett aufgezwungen wurde und denen es gelingt, mit wenigen Worten ganze Welten zu öffnen ohne sich um die eigene Kritikfähigkeit zu bringen – und zwar jenseits jeglichen redundanten Wortgeplätschers. Fragen nach Anerkennung, Macht und dem möglichen Raum der eigenen, unbeschnittenen Existenz werden somit zum inhaltlichen Leitmotiv von „Zwerchfellgewitter“: „doch / meine herrschaft ist immer da und starrt / unentwegt wie gebannt / auf mein mauseloch / so / wird ich denn verhungern“ (S. 27).
Nach ihrem letztem Gedichtband „Run & Run“, der 2002 im Deuticke Verlag erschien, hat die Autorin nun Ralf Klever und seinem erst 2008 gegründeten Verlag ihre Texte anvertraut. Eine glückliche Entscheidung, denn angesichts seines ambitionierten Programmes und der bereits vielversprechenden Backlist leistet der Klever Verlag – sein Inhaber war jahrelang Lektor bei Ritter – einen unentbehrlichen Beitrag zu einem erweiterten Literaturbegriff, der zwischen Essayistik, Theorie und avancierter Belletristik vermittelt.
Glasklare Bildwelten
Die langjährige Auseinandersetzung der Autorin mit der Dichtkunst ist eine zähe und ausdauernde, ebenso wie sie eine passionierte, bedingungslose ist: Ihre Gedichte sind gewachsen und ein Geniestreich der knappesten Form – seien es kühne Zweizeiler oder sprachlich dichteste Haikus: „Ich kürze und manchmal sehr drastisch“, sagt Waltraud Haas, und bleibt so weit davon entfernt, sich in vagen Andeutungen zu verhaspeln. Das sich Nach-Außen-Wenden zur Welt bleibt aber in dieser Prägnanz keinesfalls schmerzlos, sodass das lyrische Ich immer wieder Einhalt gebieten muss: „und wieder / nähe ich mich / von innen zu“ (S. 50). Eben jene Innerlichkeit ist gleichzeitig auch Teil einer Poetik der Unterwerfung unter die Voraussetzungen der Sprache: „meine gedichte / schreiben / mich“ (S. 73).
Zwischenmenschliche Spannungen, Lust und Weiblichkeit, verletzte und verletzbare Frauen, Misstrauen und Anflüge von Gewalt schwingen bei Waltraud Haas nicht nur sachte als Themen mit, sondern das lyrische Ich zeigt – durch die Klarheit der Form – bedingungslos auf sie und öffnet eine zuweilen auch bedrohende Klammer, die pendelt zwischen „wassereimer / auf dem grunde der brunnen / zerschürfen der mädchen / zarte haut“ (S. 5) und „immer noch strahlen / ihre augen / und leuchten mich aus“ (S. 59). Immer wieder und unvermutet schleichen sich auch Aspekte des Befremdlichen in die Verse ein. Raben, zuweil auch tote, fungieren als Platzhalter des Unheimlichen: „fragen / kein ort. nirgends / oder / hat sich das grün / meiner augen verflüchtigt / oder / was krächzt der rabe / der da stürzt / tot / in den hof“ (S. 23).
So wie die Gedichte als sprachliche Kleinst-Bausätze ganze Lebenswelten zum Aufblitzen bringen, bedingt ihre Wirkung aber auch viel Raum: Nicht nur zwischen den Zeilen, sondern auch drumherum. Somit ist der Leser auch visuell mit der Pause konfrontiert, die die mikrokosmischen Versatzstücke vom ersten Eindruck weg strukturiert, zusätzlich rhythmisiert und die Leerstellen zum Nachwirken bringt. Eine Seite komponiert meist einen Gedanken und dann bleibt die besagte Pause, bevor es den Leser weiterzieht zum nächsten facettenreichen Wort-Spiel: „rose für rose / das anlegen / eines zierteichs / kommt / dem gedichte schreiben / am nächsten“ (S. 64).
Waltraud Haas‘ Arbeit in einem aufs Äußerste reduzierten Rahmen lebt von der Entscheidung, „immer die knappeste Form auszuwählen“. Sie spielt scheinbar leichtfüßig, aber zugleich treffsicher mit dem Wort, lässt es zum Erkenntnisinstrumentarium abseits linearen Denkens werden, ohne dabei in die Metaphysik abzudriften. Es entstehen Bilder der Sinnlichkeit abseits jeglichen Sinnversprechens, Eindrücke, die dem Leser zunächst den eigenen Atem nehmen und ihm im Gegenzug den ihren anvertrauen. Die Lektüre von „Zwerchfellgewitter“ ruft uns nicht nur direkt und unnachgiebig an, sie klingt auch lange nach, ganz im Sinne einer intensiven und mutigen Spurensuche nach der Essenz des Augenblickes: „spielerisch / werde ich mich / verwegen / verirren“ (S. 89).