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Zweiter Durchgang

Gerald Schmickl

// Rezension von Veronika Doblhammer

Zweiter Durchgang – der Titel deutet es schon an: Hier spielt der Sport in jeder Beziehung eine wichtige Rolle. Im zweiten Durchgang wiederholen SchiläuferInnen bei Wettbewerben eine zuvor erbrachte Fahrleistung auf gleicher Strecke.

Der populäre österreichische Skizirkus ist ein wichtiges Thema des Ich-Erzählers, des Sportredakteurs einer Wiener Tageszeitung, Henryk Sieber. Der Zweite Durchgang ist aber eher ein Beziehungs- denn ein Sportroman. So wie die Schiläuferin ihre Fahrt wiederholt, wiederholt auch der Ich-Erzähler sein Beziehungsmuster. Das deutet schon der Beginn an: nicht die Sportredaktion ist es, die Henryk am Handy anruft, sondern die Ehefrau Esther. Am Ende mündet der Text wieder in seinen Anfang: Die neue Frau Lea beginnt sich von Henryk zu entfernen.

Mit Henryk Sieber hat der Autor einen Ich-Erzähler gewählt, der sich selbst nicht ganz ernst nimmt. Henryk scheint aus der Reihe jener Helden zu stammen, die sich seit dem Ersten Weltkrieg in namhaften österreichischen Romanen und Erzählungen durchs fiktive Leben treiben lassen: eher entscheidungsschwach, eher Beobachter denn Tatmensch, wie zufällig ins Leben gestellt, von Beruf Künstler, Schriftsteller, Journalist oder Beamter und Verehrer oder Geliebter einer starken Frau. Diese Anti-Helden sind Söhne ökonomisch starker oder autoritärer Väter, gegen die kein Aufkommen ist. In Henryks Fall ist der Vater „ein eingewanderter polnischer Schuster“, der sich in Österreich mit großem Fleiß hinaufgearbeitet hat. Der Sohn dagegen steht zu seiner Faulheit. Er ist sich zu mancher Arbeit auch zu gut. Zufällig rutscht er durch einen Schulfreund in eine Redaktion, mit einer fleißigen und lebenstüchtigen Studienkollegin führt er eine laue Ehe.

Henryk entzieht sich vermittels durchgehender ironischer Distanz der Ernsthaftigkeit seiner Umgebung, an nichts nimmt er richtig teil, er bleibt „draußen“. Dadurch gewinnt er die Narrenperspektive des ewig kindlichen Menschen, dem jede Erfahrung neu erscheint. Das Ironische hat es an sich, dass es in seiner Bedeutsamkeit changiert, weil die eindeutige Stellungnahme fehlt. Distanz ist spürbar und auch wieder nicht. Die Bewertung des Erzählten bleibt vielfach der Leserin und dem Leser überlassen, und ob sie oder er etwas als „komisch“ empfindet, hängt von ihrer bzw. seiner eigenen Distanz dazu ab. Das Ironische hat in diesem Text keinen Boden.

Henryk wäre nicht der typische Anti-Held, ginge er in seiner Arbeit voll auf. Im Gegenteil gibt diese ihm Grund zu kritischer Klage (S. 43ff.). Dass der eher weiche Typ harten Getränken zuneigt, passt spaßig dazu. Auch in seiner Ehe wartet er auf das Geschehen. Konflikten weicht er aus, indem er z. B. mit der Gattin nicht gemeinsam auf Urlaub fährt. Kein Wunder, dass Phil Aurora, ein esoterischer Superman und Alter Ego Henryks, ein Wanderprediger der richtigen Atmung, Ernährung und Bewegung, auftaucht und von seiner vernachlässigten Frau bewundert wird.

Hier setzt Henryk seine erste Initiative: Er nimmt an einem Seminar von Phil Aurora teil. Und diese erste Initiative, mit dem suspekten „Guru“ Phil Kontakt aufzunehmen, bringt ihn seiner Frau Esther wieder näher. Hatte Henryk zuerst alles, was Esther von Phil erzählte, pauschal abgelehnt, wird er nun zum Jünger.

Die zweite Initiative Henryks hat abermals mit Phil zu tun: Raffiniert fädelt er die Begegnung Phils mit der von ihm schon lange bewunderten und heimlich begehrten Schirennläuferin Lea ein, die an einem langanhaltenden Formtief leidet. Diese Tat löst eine Folge von Umbrüchen aus: Lea und Henryk verlieren ihre beruflichen Positionen. Beide werden degradiert, Lea wird aus dem Schiverband ausgeschlossen und startet für die „Briefkastenschination“ Chile, Henryk verdient sein Brot nun in der Online-Redaktion beim Datenschaufeln.

Das Blatt wendet sich, als Lea schließlich olympisches Gold gewinnt, Henryk ihr seine Liebe gesteht und überraschend ein Angebot für beide als ClubleiterInnen in Griechenland erhält (wieder durch einen Freund). Die folgenden Wonnemonate enden, als ein neues Alter Ego auftaucht, das Lea fasziniert und das Henryk wieder in resignierende Passivität drängt: das „Naturschauspiel“ Lars, ein Lauf-Guru. Ein Happy-End darf es nicht geben.

Der 1961 geborene Kulturjournalist Gerald Schmickl, seit 1997 redaktioneller Leiter der Wochenendbeilage „Extra“ der Wiener Zeitung und Beiträger so angesehener Blätter wie profil, Zeit, Weltwoche, Merkur und NZZ-Folio legt mit Zweiter Durchgang nach Alles, was der Fall ist (1994) seinen zweiten Roman vor. Für sein Sachbuch Wie man mit Allergien leben kann (2000) erhielt er den Pressepreis 2001 der Wiener Ärztekammer.

Schmickl verfügt über eine Sprache, die trotz der treffsicheren Verwendung gängiger Bilder nicht banal wird. Sie ist so glatt, dass sie künstliche kleine Störungen benötigt, die etwa durch die Verwendung veralteter Ausdrücke wie „Antlitz“ entstehen. In Vergleichen, wie „Skispringer“ seien „so etwas wie die Zen-Meister von den sieben Schanzen“ (S. 147), gelingen dem Autor oft erhellende Konnotationen. Thematisch stellt Schmickl sich im Zweiten Durchgang wesentlichen Lebensbereichen unserer Gegenwart: dem Leistungssport, dem Sportjournalismus und „esoterischen“ Grenzbereichen der Sportwissenschaften.

Virtuose Sprache wird leicht zur Falle, wenn sich der Autor oder die Autorin für einen „guten“ Helden entscheidet, wie man es in den glanzvollen Romanen Ernst Lothars, Johannes Mario Simmels oder Vicki Baums sehen kann. Schmickl entkommt bei aller Leichtigkeit seines Erzählstils durch die kluge Wahl des Anti-Held-Erzählers problemlos dieser Gefahr. Und dennoch legt er ein Buch vor, das auch nach einem 10-Stunden-Tag noch aufmerksam gelesen werden kann und die LeserInnen bei ihrer Freude an einer guten Geschichte packt – einer realistischen, witzigen Geschichte ohne Innerlichkeit und Sprachspalterei.

Gerald Schmickl Zweiter Durchgang.
Roman.
Wien, Frankfurt am Main: Deuticke, 2003.
185 Seiten, gebunden.
ISBN 3-216-30675-5.

Rezension vom 06.09.2004

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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