#Sachbuch

Zugrunde gegangen und hoch in die Jahre gekommen

Michael Bongardt (Hg.)

// Rezension von Martin A. Hainz

Elazar Benyoëtz ist ein Dichter und insbesondere für deutschsprachige Leser vor allem ein Aphoristiker, der, wiewohl sein Rang unzweifelhaft ist, noch zu entdecken ist. Einen neuen Anlauf dazu stellt der von Michael Bongardt herausgebene Band Zugrunde gegangen und hoch in die Jahre gekommen dar, der anlässlich des 80. Geburtstags Benyoëtz‘ als Gabe entstand, wie der Untertitel verrät.

Es ist nicht der erste Band, den Bongardt diesem Schriftsteller widmet, er edierte schon Humor – Leichtsinn der Schwermut. Zugänge zum Werk von Elazar Benyoëtz (Bochum 2010) sowie mit René Dausner Zum Einsatz kommen. »Die Eselin Bileams und Kohelets Hund« von Elazar Benyoëtz vielstimmig gelesen zu seinem 75. Geburtstag (Münster 2012), vor allem aber verfasste er die Monographie Ein Weg ins Deutsche. Biographie, Dichtung und Glaube im Werk des israelischen Autors Elazar Benyoëtz (Bremen 2013).

Im vorliegenden Band wird das Werk des 1937 als Sohn österreichischer Juden in Wiener Neustadt geborenen Benyoëtz, der nach der Emigration in Jerusalem aufwuchs, wo er Rabbiner wurde und wo er auch heute noch lebt, aus verschiedensten Perspektiven beleuchtet, mit allerdings deutlich theologischem Akut, was angesichts der Sprachkunst des Dichters mitunter fast ein wenig bedauerlich ist. Immerhin ist diese es, die auch die Theologie des Dichters so eindrücklich und scharf werden lässt und zugleich mit einem melancholischen Humor ausstattet, der vielleicht eher als jede zunächst der Religion angemessener scheinende Tröstung diesen Worten etwas fast Göttliches verleiht. Und auch das Dialogische ist hier prägend – das aber dann doch hier Eingang fand, denn an mehreren Stellen haben die, die über Benyoëtz sprechen, auch mit ihm gesprochen, die daraus entstandenen Texte bzw. Textänderungen sind im Band markiert.

Das Fundament im Band legt Karl-Josef Kuschel. Er zeigt, wie die Muttersprache des Dichters das Hebräische wird, Medium aber auch das Deutsche. Diese Sprache ist Medium der Katastrophe, die er so aber auch fasst – und die ihn, als er sie lernt, im Rahmen seiner Arbeit an der Bibliographica Judaica in Berlin, zwingt, „fluchartig nach Israel zurückzukehren“ (S. 17), wie Max Zweig von Kuschel zitiert wird. Loslassen wird diese Sprache ihn aber nicht. In ihr schreibt er von seinem „mit Gott geschlagenen“ (S. 17) Volk, in einer „Doppelsprachigkeit“ (S. 20), aufgrund derer nicht nur das Deutsche nicht jenes Hitlers blieb, die vielmehr auch zulässt, eine „Gottesunruhe, Gottesirritation“ (S. 21) zu formulieren.

Dokumentiert ist in der Folge die Textauswahl der Lesung des Dichters selbst: Hoch in die Jahre gekommen, wie komme ich nun aber zum Schluss, wobei, wer diesen Band liest, mit 40 Seiten schwerlich sein Auslangen findet. Die Texte korrespondieren aber in der Folge mit den Annäherungen, und sei’s, indem sie keine Legitimation bieten: „Aller Gründe Grund ist Bodenlosigkeit“ (S. 33). Sprache sei Verführung, sie war es den Deutschen, wie Celans Todesfuge zeigt, parodistische Dekonstruktion einer „Kultur“-Besoffenheit, aber anders auch den Juden: „Die deutsche Sprache war der Juden Loreley“ (S. 58).

Damit ist man beim „Treffpunkt Scheidweg“, der Bibliographia Judaica. Das, „was einmal jüdisch-deutsch war, (sei ab da) deutsch-jüdisch“ (Benyoëtz, zit. S. 75), so sagt der Dichter, dessen Werk übrigens an Pläne schon Nietzsches anschloss, dem der Antisemitismus zuwider war und der darum ein entsprechendes Projekt andachte. Dies wurde auch der Fokus des Projekts Benyoëtz, was Heyden mit Celan dessen „Engführung“ (S. 94) nennt.

Zu Celan und Benyoëtz schreibt Lydia Koelle in der Folge. Es ist leider über weite Teile eine Aufzählung der Berührungspunkte, die in einer der Repliken der Dichter auch relativiert: „Paul Celan war da, […] nicht zu umgehen. […] Aber ich war in jeder Hinsicht zu weitentfernt, als dass er mich hätte gefährden können, oder ich mit ihm wetteifern müsste.“ (S. 119) Und doch, so räumt er ein, seien sie auch „Kopf an Kopf“ (S. 132) gewesen – eine Relativierung der Relativierung, die nochmals unterstreicht, wie dieser Dichter hier die germanistisch grundierte Theologie auf sich zurückwirft.

„Im Fraglicht“ schreibt darum Claudia Welz über dieses Werk. Es zeichne sich dadurch aus, nicht der Versuchung nachzugeben, zu antworten – es vermöge, „das Fragezeichen zwischen Gott und Mensch auf keinen Punkt zu bringen“ (S. 154), bis in die dann unterbliebene Interpunktion eine Wendung auf Benyoëtz‘ Niveau.

Kann „Gott angemessen zur Sprache kommen“, so fragt kurioserweise gleich darauf ein weiterer Beitrag, genauer, weil der theologische Akzent eben da ist: „Wie“ kann er es? Problembewusster erscheint René Dausners Zugang, der eben diese Beziehung von Dichtung und Theologie analysiert. Es gehe um „Offenheit […] als anthropologische Entsprechung des Wortes »Gott«“ (S. 171), so sein Schluss. Ex negativo ist das auch Bongardts Resümee, der Herausgeber formuliert, es gehe um einen Zugang Benyoëtz‘ zu seinen Themen und der Sekundärliteratur zu Benyoëtz, worin nicht judaisiert oder gar gechristentümelt werde.

Offenheit also. Diese aber findet man bei Benyoëtz, die besten Texte des Bandes erklären ihn weniger, als dass sie den Leser immer wieder zu den Texten stoßen, mit denen sie aus guten Gründen nicht zurande kommen. Ausweg ist im vorliegenden Band vor allem die Mimesis, die wie gesagt Welz gelingt, aber als Verfahrensweise an sich durchaus prekär erscheint. In Summe ist der Band, der übrigens auch noch einiges an Material bietet, gelungen, zugespitzte Ratlosigkeit, Verweise auf Schlüsselstellen und einige wie angedeutet doch sehr treffende Befunde gefallen. Und gewiss ist darüber hinaus jedes Unternehmen, das für Benyoëtz‘ Texte wirbt, zu begrüßen.

Michael Bongardt (Hg.) Zugrunde gegangen und hoch in die Jahre gekommen
Gabe zum 80. Geburtstag des Dichters Elazar Benyoëtz.
Würzburg: Königshausen & Neumann 2019.
253 S.; brosch.; m. Abb.
ISBN 978-3-8260-6513-2.

Rezension vom 18.08.2019

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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