Die intensive Schilderung von Gefühlszuständen lässt uns nach der Lektüre nicht unberührt zurück. Leitmotivisch begleitet der Tod die Figuren aller Kurzgeschichten. Ihre Todessehnsucht und Todesnähe äußert sich durch Selbstverletzung, Sprechen mit Toten und durch Selbstmord. Die Erzählungen evozieren keine depressive Stimmung, wirken allerdings ziemlich makaber. So gibt uns Harald Schwinger in Zuggeflüster die Möglichkeit, einen intimen Blick in die menschliche Seele und ihre Abgründe zu werfen.
Das Zwischenmenschliche zeigt sich in verschiedenen Figurenkonstellationen. Das Ehepaar der Erzählung „Krieg“ streitet längst nicht mehr nur in Wortgefechten. Geplagt von psychosomatischen Symptomen entwirft die Ehefrau Tatja gedanklich einen Schlachtplan für ihren Beziehungskrieg. Der auserkorene Gegner ist ihr Ehemann Albert, ein Alkoholiker. Nachdem sich die spannungsgeladene Atmosphäre entladen hat, kehrt Ruhe ein. Diese Ruhe bedeutet allerdings kein „Happy End“, bloß eine ersehnte Erleichterung für die Betroffenen. Somit hat der Schluss etwas Versöhnliches, wie dies bei allen Kurzgeschichten der Fall ist.
Die zwei einander verhassten Brüder Salm und Daviid sterben beide am Ende der titelgebenden Kurzgeschichte „Zuggeflüster“. Jedoch steht nicht die Trauer im Vordergrund, wie man dies wohl erwarten würde, sondern die Gewissheit darüber, dass die familiäre Leidensgeschichte nun ein Ende hat.
Dem typisch österreichischen Ausdruck „Glucke“ gemäß ist die Mutter in der Erzählung „Rottweiler“ auf ihren Sohn fixiert. Johann lebte lange Zeit nach dem Tod seines Vaters in einer symbiotischen Beziehung mit ihr. Durch die Heirat mit Ernestine, die aufgrund ihrer aggressiven Art den Spitznamen „Rottweiler“ trägt, entsteht ein Konkurrenzkampf der Frauen. Der Gewaltakt ereignet sich jedoch nicht zwischen ihnen. Der eigentlich friedfertige Johann schlägt fast seine Mutter tot.
Harald Schwinger sucht in Zuggeflüster nach den Gründen für jene gewaltvollen Beziehungstaten. Das Erzählen der Vorgeschichten soll freilich weder Entschuldigung noch Rechtfertigung sein. Hingegen möchte er Antworten auf die vielgestellte Frage, wie es nur soweit kommen konnte, finden.
Allen Kurzgeschichten ist gemeinsam, dass sie ein dingliches Symbol enthalten. Die rhetorische Figur ermöglicht die Verdeutlichung von Erinnerungen, Gefühlen und traumatischen Erlebnissen, indem sie auf einen Gegenstand übertragen werden. So symbolisieren die Bäume in der Kurzgeschichte „Amá“ die Niederlage von Amá gegenüber ihrem Mann. Letztlich überträgt sie all ihre Wut, Bitternis und Enttäuschung auf diese Bäume und lässt sie daher nach seinem Tod umgehend fällen. Besonders deutlich wird die symbolische Kraft von Dingen in Zuggeflüster. Die „Magie der Schienen“, die im Sinne einer Anziehungskraft der Zuggleise für Selbstmörder zu verstehen ist, identifiziert und entlarvt die Züge als spottende Mörder.
Der Erzählstil zeichnet sich durch Variation aus, die Erzählzeiten und Perspektiven unterscheiden sich. Szenisch und sprunghaft reihen sich die Absätze aneinander. Dementsprechend erschließt sich der Zusammenhang erst im Laufe der Lektüre. Die Sprache ist modern, die Sätze sind kurz und präzise und vermitteln, dass der Erzähler mit seiner Geschichte vorankommen möchte. Der gleichmäßige Erzählton wird teilweise von Dialogen unterbrochen. Die Verortung bleibt unbestimmt, aber zentral, so ereignet sich die Kurzgeschichte „Krieg“ hauptsächlich in einer Küche. Die Zeitlosigkeit und Allgemeinheit der Erzählungen erinnert an Fabeln.
Das Besondere an Zuggeflüster ist das psychologische Feingefühl, mit dem Harald Schwinger von seinen traumatisierten Figuren erzählt. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, er sei ihr Psychotherapeut.