#Lyrik

Zu Ende gebaut ist nie

Sabine Gruber

// Rezension von Eva Maria Stöckler

Nicht das, was geschrieben steht, ist das, was es heißt; das was gelesen wird, ist das, was es heißt. Die Gedichte von Sabine Gruber erfordern genaues Hinlesen, genaues Hinhören. Sind Sprache im Klang und Klang in der Sprache. Sind Ernstnehmen, was geschrieben steht. Sind Ernstnehmen, wie es geschrieben steht. Ihre Sprache und der Klang ihrer Sprache fließen und lassen Bilder entstehen, geformt aus konkreten Bewegungen und offen für neue Begegnungen. Zu Ende gebaut ist nie.

Ausgangspunkt von Sabine Grubers Gedichten sind Orte, reale und vorgestellte, gegenwärtige und zukünftige. Ihr Blick ist in die Zukunft gerichtet, nicht in die Vergangenheit. Sie lässt Bilder entstehen, die noch kaum Sprache sind, mehr Farbe, mehr Klang, und flicht ein sprachliches Band über diese Bilder. Einem Netz aus wenigen Fäden gleich legt sie dieses Band über die Bilder, und durch dieses sprachliche Netz hindurch blitzen Farben, Formen, Klänge und Worte. „Drinnen verlauben die Sätze in den eigenen Beständen.“

Und diese Sätze sind fein auf die Farben, Formen und Klänge abgestimmt, nehmen sie auf, transferieren sie in Sprache, die doch immer Bedeutung hat, auch wenn sie auf keine Sache zeigt. Die Sprache selbst wird in ihren Gedichten zu „Formen, Muster, Farben“, etwa durch Alliterationen – „Hain. Hage. Horn, Herbstgenau“  – und das Setzen einer Klangfarbe wie in Draußen ruhen die Buchen. Durch kleine Wendungen, den Austausch einzelner Buchstaben, das Setzen eines Kommas oder das Nichtsetzen eines Punktes, gelingt es Sabine Gruber, den LeserInnen einen Blick durch das fein gewebte Sprachnetz werfen zu lassen, und sie legt damit ihr poetisches Programm frei: „Fremd ist das Schweigen hier, fremder noch als befremdlich: der Wortwald aus Weißbaum, Rotbaum, Blutbaum.“

Die Lyrikerin konstruiert in ihren Gedichten sprachliche und bildliche Gegensätze, lässt drinnen und draußen aufeinanderprallen. „Draußen, drinnen in Lüneburg“ macht ihr Vorgehen deutlich. Draußen, das ist die Welt der lebendigen Natur, die Welt des geordneten Lebens, der Garten gepflegt, Sträucher, Bäume, der ganze Wald spricht und darüber wacht der wasserspendende, lebenspendende Himmel. Wie anders doch malt sie das Bild des Innen. Aus dem „Sprühanlage gepflegter Gärten“ ist ein Dauerregen geworden, die „Sätze verlauben“, der Himmel geht aus. Die Gedankenwelt der Innenwelt gerät zu einer bedrohten Welt, das Lebendige der Natur droht unterzugehen. Ähnlich lässt sie in Inwendig Venedig, auswendig Venedig in Stoffbahnen erstehen, in „Saum- und Futterresten“, längst schon abgenutzt und ausgebleicht, „Formen, Muster, Farben“ verblassen, verschwimmen. Venedig, die versinkende Stadt, ein Venedig aber auch, das für die Pracht der Vergangenheit, die bunte Welt des Karneval und ein Handelsimperium steht. Die Metapher von Untergang und Verfall (bei Thomas Mann wartet der Tod in Venedig) bindet Gruber zurück an einen Ort, an dem gehandelt und verhandelt wird. Ein Handel, gespeist aus der Vergangenheit, dessen Ware aber gemacht ist für die Zukunft, den „Katalog späterer Gedanken“ und daher letztlich ein sehr einsamer Ort bleibt, ein Durchgangsort, bevölkert von Händlern, die nichts anderes tun, als annehmen und ablegen, einnehmen und ausgaben. Ein Übergangsort von drinnen und draußen, von inwendig und auswendig.

Grubers Sprache ist schnörkellos, doch bilderreich; sie ist voller Poesie, gerade dann, wenn sie Alltagssymbole eindringen lässt, sorgfältig in den Formulierungen und präzise, wie lyrische Sprache nur präzise sein kann.

Sabine Gruber Zu Ende gebaut ist nie
Gedichte.
Innsbruck, Wien: Haymon, 2014.
24 S.; geb.
ISBN 978-3-7099-7140-6.

Rezension vom 01.03.2014

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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