Protagonistin des Romans ist – wie schon des öfteren in Lerchers Geschichten – die Magistratsbeamtin Anna Posch, laut Eigenaussage „hochqualifizierte Fachkraft der Wiener Hotline für soziale Notlagen“, die im Zuge ihrer Arbeit (und über allerlei Umwege) mit einer Organisation in Kontakt kommt, die für die Rechte der sogenannten Scheidungsväter eintritt. Einer jener Väter entführt, nicht zuletzt weil er sich von Anna nicht ernst genommen und nur unzureichend beraten fühlt, seine Tochter, des Weiteren wird eine Mitarbeiterin der Frauenberatungsstelle ermordet im Donaupark aufgefunden. Als in die Kritik gekommene und von ihrem Chef unter Druck gesetzte Beamtin versucht Anna nun, gemeinsam mit ihrer besten Freundin, der Journalistin Mona, an weitere Informationen über die erwähnte Organisation zu gelangen. Im Zuge ihrer Recherchen erfährt sie auch mehr Details über die Entführung und die Umstände des Mordes.
Auf den ersten Blick scheint man es hier mit einem klassischen Krimi zu tun zu haben; und dennoch ist es kein solcher, insbesondere auf inhaltlicher Ebene. Zum ersten, weil die im Roman verübten Straftaten nicht miteinander in Verbindung stehen: Der Klappentext verspricht dem Leser zwar – im Grunde zurecht – ein „blutiges Familiendrama in der Vorweihnachtszeit. Kindesentführung und schließlich: Mord“. Diese Formulierung ist aber insofern irreführend, als sie eine Relation oder gar eine Bedingtheit suggeriert, wo gar keine ist: Die Kindesentführung selbst endet nicht im Mord, sondern ist ein anderes, ganz „eigenständiges“ Delikt, und auch das „blutige Familiendrama“ am Anfang des Romans hat auf den Verlauf desselben keinen Einfluss, auch wenn es als weiteres durch Scheidung bedingtes Verbrechen natürlich nicht fehl am Platz ist.
Die Kriminalhandlung selbst gerät im mittleren Teil des Buches zunehmend ins Hintertreffen: Denn die kleine Marlene,Tochter der alleinerziehenden Mona und Patenkind von Anna, benötigt immer mehr Aufmerksamkeit, die sie von ihrer Mutter, Tante und auch von den Lesern fordert. Die Passagen mit Marlene in der Hauptrolle, die zum Teil viel Raum einnehmen, demonstrieren einerseits gut die alltäglichen Schwierigkeiten von und die Anforderungen an Alleinerziehende (und beleuchten so einen weiteren Aspekt von Scheidungen), lassen darüber jedoch den eigentlichen Plot beinahe vergessen.
Eine weitere Einschränkung betrifft die Art und Weise, wie Anna an den „Fall“ kommt und diesen „löst“. Im „klassischen“ Kriminalroman spielt der Zufall ja generell eine, wenn überhaupt, nur untergeordnete Rolle, vielmehr stehen Logik und deduktives Schließen sowie das richtige Deuten von Hin- oder Beweisen im Vordergrund. In „Zornige Väter“ aber hat der Leser/die Leserin keine Möglichkeit, selbst Schlüsse zu ziehen oder Hinweise zu bewerten (weil diese fast gänzlich fehlen), sondern er/sie kann, ebenso wie Anna, nur allerlei Vermutungen anstellen. Dass die Protagonistin nur zufällig in die Verbrechen hineingezogen wird, ist nicht unbedingt gravierend; dass der Mord aber ebenso beiläufig aufgeklärt wird, könnte zum Problem für einige Leser werden – wie übrigens alle aufgezählten Eigenheiten, die das Lesevergnügen zwar nicht mindern, aber in Anbetracht der auf dem Buch prangenden Genrebezeichnung Kriminalroman samt daran geknüpfter Erwartungshaltung enttäuschen könnten. (In jedem Fall enttäuschend sind allerdings die Tippfehler und die vielen falschen Kommasetzungen im Roman – wenn sogar auf der Buchrückseite ein Beistrich zu viel ist, zeugt das von einer äußerst nach-, ja fast fahrlässigen Korrektur.)
Zu konstatieren bleibt, dass Lisa Lercher mit Zornige Väter ein handwerklich ausgezeichnet gemachter und mitunter recht spannender Roman gelungen ist, der sich dem Thema Scheidungen auf eine kritische und differenzierte Weise nähert – nur an einigen wenigen Stellen sind Annas (unbegründete) Mutmaßungen und Verdächtigungen, die sie hinter fast jedem Vater einen potenziell gewaltbereiten und gefährlichen Mann erkennen lassen, der kurz vor dem Zuschlagen ist, zu sehr in Schwarz-Weiß gehalten. Abgesehen davon wäre der Roman aber durchaus in der Lage, zu einer breiteren Diskussion über die Vergabe von Sorge-, Besuchs- und weiteren scheidungsbezogenen Rechten anzuregen – sowohl die Politik als auch die Gesellschaft muss endlich einsehen, dass man bei einer allfälligen Scheidung nicht nur einem, sondern beiden Elternteilen so gut wie es eben geht gerecht werden muss, um die Auswirkungen auf die eigentlichen Opfer, die Kinder, so gering wie möglich zu halten. Denn hinter dem Handeln der zornigen Scheidungseltern, seien es nun Väter oder Mütter, steht oft nur eines: Verzweiflung.