#Roman

Zores

Andreas Pittler

// Rezension von Susanne Eichhorn

Wenn eine Leiche hingebungsvoll einen Persianer vollblutet und zeitgleich ein historischer Wendepunkt unmittelbar bevorsteht, dann ist dies wieder einmal ein Fall für Oberst David Bronstein. Der Beginn des – geplanten – letzten Teils der Pentalogie ist so unheilvoll und hoffnungslos, wie es im Laufe der Ereignisse auch um die Erste Republik steht. Sowohl dem Kriminalisten als auch dem Staat Österreich droht die Luft endgültig wegzubleiben. Doch während sich ersterer wieder erholt, nimmt der Mordfall in der Naziszene das unwiederbringliche Ende des bestehenden Österreich vorweg. Der Kriminalfall wird zur Metapher für das gewaltsame Ende der Republik, denn die beiden Leichen kann man stellvertretend für das endgültige Ableben von Monarchie und Ständestaat betrachten.

Bei Bronsteins Ermittlungen im Wohnhaus des ermordeten Nazi-Bonzen tritt das gesamte Spektrum der Wiener Gesellschaft an, von der Hausmeisterin bis zum Hofrat. Allen waren die dunklen Machenschaften des Mordopfers mit Neigungen zur Pädophilie mehr oder weniger bekannt – gesehen hat natürlich keiner etwas! Während die Aufklärung von mittlerweile zwei Mordfällen nur zögerlich voranschreitet, überschlagen sich die politischen Ereignisse. Aufgeklärt werden muss aber vor allem erst einmal Bronstein, dem nur langsam bewusst wird, dass ihm allein wegen seines Namens schon sehr bald niemand mehr Respekt entgegenbringen wird. Spätestens nach dem unsanften Rauswurf aus Seyß-Inquarts Büro ist klar, wie schnell selbst ein lang dienender Polizeioberst zum Verfolgten ohne Rechte degradiert wird.
Zwar droht der Kriminalfall streckenweise in den politischen Ereignissen unterzugehen, und manchmal hat man als Leser auch das Gefühl, dass der Polizeioberst selbst das Ende des Romans nicht mehr erleben wird, jedoch machen gerade dessen physische Unzulänglichkeiten Bronstein so sympathisch und bewahren den Roman vor einem Abgleiten in bloßen Geschichtsunterricht. Die Verzweiflung und die Gewissheit, dass gar nichts gut ausgehen wird, wird Bronstein endlich durch die Angestellte eines Herren- bekleidungsgeschäftes klar gemacht. Sie sieht die Verbrechen an der Menschheit und vor allem an der jüdischen Bevölkerung voraus und begräbt jede Hoffnung auf eine glückliche Wende mit den Worten: „Die Nazis werden erst ruhen, wenn sie den letzten von uns tot gemacht haben.“ Der jüdische Geschäftsinhaber Duft selbst ist es dann aber, der Bronstein wieder etwas aufrichtet und ihn mit Gottvertrauen in eine, wenn auch nicht glückliche, so doch hoffnungsvolle Zukunft entlässt. Bronsteins treuer zum Oberstleutnant beförderter Kollege Cerny hilft ihm unterdessen nicht nur einmal aus der Patsche und rettet ihn schlussendlich mit einer Hauruckaktion vor den Übergriffen der mittlerweile offiziell agierenden Nazis.

Der Historiker und Journalist Andreas Pittler schafft es auch mit Zores wieder, das Wien der Zwischenkriegszeit lebhaft vor Augen zu führen. Bei gemeinsamen Rundgängen durch innerstädtische Bezirke werden dem Leser auch dessen Einwohner und ihre spezifische Ausdrucksweise vorgestellt, die sich teilweise bis heute kaum gewandelt hat. Nach seinem Herzanfall verwechselt Bronstein Wien nur kurz mit dem Paradies, denn nach einem „drah di, Depperter!“, oder der unmissverständlichen Aufforderung „geh schleich di, du Impotenzler! Waun mei Mann hamkummt, dann tögelt er di die Stiagn obe! Oba wia aa no!“, ist klar, dass es sich hierbei nur um die herzhafte Ausdrucksweise eines Bewohners der Bundeshauptstadt handeln kann.

Angenehm ist auch der Umstand, dass die zeitgeschichtliche Wissensauffrischung ohne den unterschwellig moralisch erhobenen Zeigefinger durchführt wird, zeitweise ertappt man sich sogar bei der Vorstellung, dass vielleicht doch noch alles gut ausgehen könnte. Das gelingt Pittler durch die geschickte Verbindung von historischen Fakten und Fiktion. Authentizität erreicht er auch diesmal wieder durch den wohldosierten Einsatz von Schmankerln des Wiener Dialekts. Die im kleinbürgerlichen Lokalkolorit geführten Dialoge sorgen zwischendurch für humoristische Würze, die in Anbetracht der entmutigenden historischen Entwicklung Erleichterung verschafft. Präziser Erzählstil und Pittlers Gefühl für Sprache beherrschen das Tempo der Handlung und verbinden sich global zu einem angenehmen Lesevergnügen.

So wird der anfangs vom positiven Ausgang der Volksabstimmung überzeugte und schließlich eines Besseren belehrte David Bronstein in ein offenes Ende entlassen, das parallel zu den historischen Ereignissen eher einen perspektivlosen denn einen glücklichen Ausgang prophezeit. Doch ob das Finale nun wirklich ein endgültiges ist, bleibt abzuwarten, denn wie uns die Geschichte gelehrt hat, war der Anschluss zwar der Anfang vom Ende, aber es gab auch eine Wiederauferstehung Österreichs. Somit besteht für David Bronstein immerhin noch die Chance, als Protagonist dieser Krimireihe über die Erste Republik hinaus zu bestehen.

Andreas Pittler Zores
Kriminalroman.
Wien: echomedia Verlag, 2012.
249 S.; geb.
ISBN 3-85129-484-X.

Rezension vom 24.05.2012

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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