#Prosa

Zitat Ende

Florian Neuner

// Rezension von Martin Kubaczek

Nach „Und käme schwarzer Sturm gerauscht“ und „Jena Paradies“ legt Neuner mit Zitat Ende seinen dritten Band in einer Form durchkomponierter Textgestaltung vor, die weitgehend mit Fremdtext arbeitet, assembliert ist aus literarischen Objets trouvées, die allerdings nicht zufällig sind, sondern programmatisch nach Kriterien, Motiven und Interessen recherchiert, selektiert und angeordnet werden.

Die elf Textflächen aus Zitat Ende kombinieren dabei urbane, geografische und intellektuelle Sprachbewegungen an der Schnittstelle von Selbstwahrnehmung und Entfremdung. Der Text zerbricht schon im Entstehen, er stellt sich selbst in Frage, breitet Szenarien des Abwegigen aus, testet die Ekelgrenzen, erhebt utopische Forderungen, konnotiert furios zwischen den Etagen der sozialen Schichten, stellt die philosophischen Überbau-Diskurse auf eine Ebene mit den Erfahrungen im Untergrund der Schwulenszene. Manchmal scheint es, dass er auf Effekt hin kalkuliert, gleichzeitig steuert er diesem Kalkül aber wieder heftig entgegen, indem er sich außerhalb jeglicher Konsenskunst stellt.

Neuner arbeitet mit einem konkreten Konstruktionsprinzip, das gemäß dem Rühmschen Diktum, Poesie sei ein Spannungsverhältnis benachbarter Sätze, quasi in einem Doppelschritt-Verfahren vorgeht: Der Folgesatz kontrastiert, problematisiert oder hebt den vorangegangenen auf. Das Material der so komponierten Textstruktur ist eine „Mischung aus Zitat, Authentizität & freier Phantasie“ (S. 10), manchmal wird wie im Zapping möglicher Wahrnehmungskanäle auf Eindrücklichkeit hin kompiliert. Irritation ist mitprogrammiert, zugleich werden (zumeist in unausgewiesener Zitatform) Verfahrensweisen transparent gemacht und Interpretationsmöglichkeiten (auch ironisch) mitgeliefert: „Der Text ist durch eine Zickzack-Bewegung, ein permanentes Pendeln zwischen verschiedenen Zeitebenen strukturiert.“ (S. 73) „Wir haben es zu tun mit einem unendlich bewegten Mosaik ohne Zusammenhang, das nur manchmal, scheinhaft, so etwas wie ein Muster freigibt.“ (S. 78) Neuner spricht von Faltung und Leerstelle (als Terminus der Rezeptionsästhetik), von Inseln der Ordnung im literarischen Abfall, oder er will den Text auf „Thekengespräche“ (S. 99) reduzieren und weist bei aller Offensivität letztlich ab von sich: „Ich bin das, was ich sage, nämlich meine Materialien nur“ (S. 88; ein hier ausgewiesenes Zitat Dieter Roths).

Wie schon in den früheren Texten überrascht die Einbindung der E-Musik in den Kontext der Off-Szene. Das Literaturverzeichnis zu „Zitat Ende“ nennt über 80 Titel, viele davon zu ästhetischen und literarischen Theorien wie Rezeptionsästhetik oder musikwissenschaftliche Sammelbände zu Luigi Nono und Morton Feldmann. In einem Interview sagte Neuner, ihn reize der Kontrast: „Vom Konzert in der Philharmonie zu einer Pissparty zu fahren, ja, das ist schon ein Teil meiner Lebensrealität“, die Subtilität des Ausdrucks steht der Ästhetik des Obszönen für ihn in nichts entgegen: „Fischer-Dieskau zählt für mich zu den ganz entscheidenden ästhetischen Erfahrungen.“ (Interview mit Gernot Wartner in PRIDE 61/2001)
Gebannt steht Neuners Text-Ich vor dem Hereinbrechen dunkler Gefühle: „Geister aus noch tiefrer Nacht“ (S. 115) ist ein Kapitel überschrieben, und in romantischer Dialektik von Fragment und Offenheit heißt es: „Ein Text wächst auch so & im Prinzip ins Unermessliche“ (S. 111) oder: „Wir haben es mit einer endlos langen Zeile zu tun, worüber die flächige Ausdehnung einer Druckseite nicht hinwegtäuschen darf.“ (S. 60)

Dieser romantischen Unmessbarkeit tritt Neuner mit dem Prinzip der Zerhackung des Ganzen entgegen: Wie im stroboskopischen Licht werden Umrisse sichtbar, blitzt etwas auf, um sofort wieder in den Dunkelkammern des Bewusstseins zu verlöschen. Staccati von Konstatierungen rattern vorüber, und wie mit dem Laser werden fein abgehobene Schichten schockgefrorener Sprachzellen tomographiert. Strukturierungen finden dabei thematisch, motivisch und formal statt: Sätze kehren etwa refrainartig wieder: „Der einzige Weg, die Grausamkeit zu bannen, ist ihre Wiederholung in einem geschützten Raum.“ (S. 123 et passim) Der Text wird strukturiert durch Wiederholungen, durch Themensignale oder mittels chronologischer Marker, etwa zur Machtgeschichte Venedigs oder zu den Bombardements von Helgoland. Partikel solcher Wirklichkeit finden sich wie Splitter eingestreut überall im Text.

Die Ernsthaftigkeit und die prüfende Intensität der Sätze dominieren, schockartig leuchten Bilder auf von der Suche nach dem existentiell möglichen Limit. Da finden sich Hell/Dunkel-Szenarien aus dem Darkroom des Bewusstseins, dieser behavioristischen Black box, in der sich das individuelle Denken so diskret selbst überlassen bleibt wie die anonymen Besucher in den Dunkelkammern der Schwulenszene. „Die Lust soll über all die Öde & Resignation hinwegtrösten. So wird Unzufriedenheit kanalisiert & betäubt“ (S. 129), bekennt Neuners sprechendes Ich, das unterwegs ist an den Ekel- und Schmerzgrenzen. Sexualität wird hier völlig entromantisiert in nüchternen Schilderungen so genannter harter Sexualpraktiken, gleichzeitig klingt das romantische Motiv des fremden Wanderers an in der Unbehaustheit des durch die Off-Szene-Lokale der Großstädte driftenden Subjekts. Neuner exponiert radikal seine Unsicherheit, lässt ein Fraktal der Angst aus seiner düsteren Gegenwartsvision entstehen, behauptet und konstituiert aus der Negation heraus sein gefährdetes autonomes Subjekt.

„Ich erzähle lieber, was öde, uninteressant & prosaisch ist. Eine große traurige Geschichte mit zwei Elementen: Bitte – Ablehnung.“ (S. 5), heißt es zu Beginn. Neuners Text polarisiert wohl trotz seines Bemühens um Differenzierung, die Metapher vom Leuchtturm im Helgoland-Kapitel „Die unzerstörbare Insel“ markiert dagegen einen Orientierungspunkt im finsteren Meer einer als katastrophal und bedrohlich erwiesenen Gegenwart: „Der Leuchtturm sendet sein Strahlenbündel in die Weite. Oft blitzt eine Ahnung der Wirklichkeit dort auf, wo man sie am wenigsten erwartet.“ (S. 154) Die Signale dieses Aufblitzens sind es, womit dieses Textverfahren beunruhigt und fasziniert.

Florian Neuner Zitat Ende
Prosa.
Klagenfurt, Wien: Ritter, 2007.
168 S.; brosch.
ISBN 978-3-85415-405-1.

Rezension vom 23.07.2007

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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