In der ersten Geschichte Spuren, mit Abstand die beste, am überzeugendsten konstruierte und eindrücklichste des Bandes, wird ein junger Zimmermann, der nach einem Bandscheibenvorfall nicht mehr in seinem Beruf arbeiten kann und beruflich anderswo nicht mehr Fuß fassen kann, als „Versager“ von seiner Frau, die selber nicht arbeiten gehen will, verlassen. Da er genügsam lebt und über Ersparnisse verfügt, beschließt er, ein Jahr lang einfach nichts zu tun. Er sitzt zuhause, denkt nach, geht in die Natur, beobachtet den einsamen Nachbarn Hauser, in dessen Nähe es ihn wie magisch hinzuziehen scheint, bis er sich, nach Monaten und unterschiedlichen Trauerphasen, erholt hat. Er beginnt bei einem Paketdienst zu arbeiten und am Ende kehrt sogar seine Frau zurück – wortlos; und auch woher die so intensiv gefühlte Verwandtschaft des Ich-Erzählers zu Hauser kommt, klärt sich in den letzten Absätzen auf.
In den beiden anderen Geschichten ist der Ich-Erzähler nicht mehr die Hauptfigur der Geschichte, sondern wird nur – mehr oder weniger zufällig – zum Zuhörer bzw. Leser von Lebensbeichten, die es in sich haben. In der zweiten Erzählung, „Male“, holt der junge Wenzel seinem Freund Ferdinand Goldberger „zu Gefallen“, wie es heißt, von einem Hof einen Keilriemen. Der seltsame Alte, der dort wohnt, ruft ihn zu sich, weil er ihm etwas mitzuteilen habe für seinen Freund. Er beginnt zu „beichten“, erzählt, wie es dazu kam, dass er dafür sorgte, dass ein polnischer Kriegsgefangener exekutiert wurde, von seinen unglücklichen Ehen und seinem besten Freund. Wenzel, zunächst abgestoßen von dem schnapstrinkenden Alten, findet Geschmack am Whisky und hört mehr oder weniger gleichgültig zu, bis er am Ende erfährt, was das alles mit Ferdinand und ihm zu tun hat, was ihm dann gar nicht mehr behagt … Hat „Spuren“ etwas Elegisches, so trägt „Male“ durch die unheimliche Schilderung des Alten, die gefühlte Bedrohlichkeit der Umgebung und die Härte des Erzählten eher Züge einer Schauergeschichte, deren Ende – die Verbindung von Rahmenhandlung und Lebensbeichte – dann allerdings recht gekünstelt wirkt.
Noch holzschnittartiger entworfen und von der Figurenzeichnung klischeehafter wirkt die schwächste titelgebende dritte Erzählung „Zeichnungen“. Hier ist der Ich-Erzähler überhaupt nur noch zufälliger Adressat der brieflichen Lebensbeichte eines Unbekannten, der, als er erfährt, dass sein Vater gar nicht sein Vater ist, von zuhause fortzieht und es in der näheren Umgebung beim Unternehmer M. zu viel Ansehen und Reichtum bringt, dessen Durchtriebenheit und Kaltschnäuzigkeit (er schreckt auch vor Giftmord nicht zurück) ihm das Schicksal aber heimzahlt, stellt sich doch am Ende heraus, dass die Tochter des Unternehmers, in die er sich verliebt hat, seine Halbschwester ist.
Neben dem großen, wenn auch etwas vagen Thema Schuld sind unerwartete Wendungen und plötzliche Enthüllungen am Ende allen drei Erzählungen gemein. Aus den Geschichten selbst heraus begründet sind sie nicht, weshalb sie dem Leser auch seltsam und unglaubwürdig erscheinen. Schwierig ist es auch, tatsächliche Thesen auszumachen oder Fragen zu finden, die die Erzählungen in ihrer Gesamtheit formulieren würden, und einiges in Kaiser-Mühleckers Prosa wirkt schlichtweg einfach zu gewollt und aufgesetzt. Ein bisschen weniger „Overstatement“, weniger Gezwungenheit – vor allem auch sprachlich –, dafür mehr Präzision in dem, was tatsächlich beschrieben wird, und die Geschichten als Ganzes würden unglaublich gewinnen. So aber hemmen zahlreiche umständliche Partizip-I-Konstruktionen den Lesefluss und auf den ersten Blick bedeutsame, poetische Sätze entpuppen sich bei genauerem Lesen als inhaltsleer oder zuweilen auch als sprachlich oder grammatikalisch falsch.
Dass Kaiser-Mühlecker durchaus präzise sein kann, zeigen einzelne Passagen der drei Erzählungen, vor allem die starken Landschaftsbilder, in denen auch innere Stimmungen ihre Widerspiegelung finden – wie das in den Spuren, der meditativsten der drei Erzählungen, der Fall ist. Dort zeigt sich das wahre Talent des Autors. Das sollte er kultivieren – und den eigenen Texten jene Sorgfalt und Ruhe widmen, die er selber in seinen Geschichten propagiert. Es muss ja wirklich nicht jedes Jahr ein neues Buch sein, wie das bei Kaiser-Mühlecker seit seinem Debüt 2008 mit sechs Prosawerken und einem Theaterstück quasi tatsächlich der Fall war. „Less is more“ wäre überhaupt ein exzellenter Wahlspruch für den an sich wohltuend „anderen“ literarischen Youngster.