Yseut Ysabelle (so ihr zweiter Vorname) reist mit dem Auto nach Italien, in ihrer Handtasche hat sie eine Pistole, die zu benützen Yseut später keine Hemmungen haben wird. Sie fährt schnell und es scheint fast so, als haste sie durchs Leben, aus Angst, am Ende doch noch etwas zu verpassen. Oder als triebe das Leben sie ein Leben lang bereits vor sich her. Streeruwitz schreibt in atemlosen, stakkatoartigen Sätzen auch von einem Frauenleben, wie es für die Generation der Autorin typisch zu nennen ist. Ein Leben in seltsamer und oft ungewollter Abhängigkeit vom jeweiligen Mann, dessen Lebenspläne und Berufe diejenigen der Frau mitbestimmen. Yseut wird mehrmals heiraten, ein Kind großziehen, von einem Mann zum nächsten wechseln, letztlich aber doch allein auf der Schnellstraße zu einem Landgasthof nahe Ravenna unterwegs sein. Am Ende, so scheint es, spielt ihr früheres Leben für Yseut keine Rolle mehr. Endlich ist sie stark und unabhängig, ihr Leben so zu leben, wie sie es für richtig erachtet. Die Pistole in ihrer Handtasche ist da nur eine weitere Chiffre für ein richtiges Leben im Falschen.
Dabei hat Streeruwitz auch einen dunklen, düsteren, dystopischen Roman geschrieben: das Italien, in das ihre Heldin aufbricht zu einer Reise mit ungewissem Ausgang – wie zuvor ihre Namensvetterinnen Isolde und Isabelle – ist längst nicht mehr das Land des dolce far niente, es ist ein Land an der Grenze zur zivilisierten Welt in einer nahen Zukunft, in der das Flüchtlingsproblem längst außer Kontrolle geraten ist, nur mehr der Staat, Militär und Polizei, aber auch die Mafia die Verwalter einer gewaltbereiten Öffentlichkeit sind. Es geht um Macht und die Mechanismen der Macht, Themen, mit denen sich Streeruwitz in vielen Texten bereits auseinandergesetzt hat, auch, aber nicht nur, wenn es um verschiedene Frauenleben geht.
Streeruwitz zeigt anhand des scheinbar simplen, austauschbaren Lebens von Yseut die gesellschaftlichen Abhängigkeiten, in die man geraten kann, obwohl man doch alles richtig machen will. Es sind schmerzhafte Erfahrungen, die Yseut in ihrem jungen und mittleren Erwachsenenleben machen muss, und erst mit zunehmendem Alter scheint es ihr zu gelingen, so etwas wie ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Das macht Hoffnung. Nicht nur für Yseut, sondern generell für eine Welt, die von der Zukunft nur ein mehr an Schrecken erwartet.
Noch mehr Hoffnung. Yseuts neue Bekanntschaft Gio Gio, ein ehemaliger Verbrecher, entführt die Heldin in ein fast schon surreal anmutendes Disneyland der eigenen Erinnerung, einen künstlichen Themenpark, in dem man die glücklichste Zeit seines Lebens noch einmal erleben darf; Yseut taucht ein in die Zeit der Sechziger- und Siebziger-Jahre, die sie – authentisch ausgestattet wie in einem Film samt Mode und passender Musik – noch einmal für einen Moment erfahren kann. In Zeiten von Versuchen mit Virtual Reality und den dazugehörigen Welten fast schon keine Utopie mehr.
Der Rest ist ein kluges Spiel mit Zitaten aus Film und Literatur und das Kreisen um die wichtigen Fragen, was ein Leben – vor allem ein Frauenleben – eigentlich ausmachen kann und soll. Streeruwitz hat mit Yseut einen intelligenten, aber auch einen beunruhigenden Roman geschrieben. Dass die Zeichnung ihrer Heldin als junge Frau manchmal zum ärgerlichen Klischee verkommt, kann man am Ende des Buches verschmerzen. Denn das Leben geht weiter; und sei es mit rasanter Fahrt in einem Wagen auf irgendeiner Schnellstraße in der Po-Ebene, während die Landschaft im Augenwinkel vorbeifliegt.