Es finden sich in dem Büchlein: der Text der Laudatio des Germanisten Klaus Amann, in der dieser die einstimmige Entscheidung des Senats der Universität begründet; ein Faksimile des Konzeptblatts, auf dem sich der geehrte Schriftsteller seine Rede zurecht legte; vier Fotos des redenden Peter Handke; schließlich der verschriftlichte Text von Handkes kurzer Rede, in der der Kärnten-gebürtige weltläufige Autor sich in einer überraschenden Weise mit seiner Kärntner Heimat einlässt. Das Klagenfurter Ehrendoktorat für Peter Handke bedeutet eine längst fällige Heimholungsmaßnahme und zugleich eine massive Stellungnahme des anderen (des kulturellen, intellektuellen, grenzüberschreitenden) Kärnten gegen das ewige eine Kärnten der offiziellen Kärntner Politik, Kulturpflege und Geschichtserinnerung. Obwohl die Redner sich (fast) jeder expliziten politischen Stellungnahme enthalten haben, legen ihre Sprechhandlungen in ihrem Kontext und ihrem Subtext die Kärntner Nerven frei. Auf den frei liegenden Kärntner Erinnerungs-Nerv beziehen sich auch die Titelwörter von Handkes Rede: Wut und Geheimnis.
Klaus Amann versucht in seiner Laudatio anlassbezogen, die Bedeutung des Handke’schen Oeuvres zu würdigen, also die Ehrendoktorwürdigkeit Peter Handkes herauszuarbeiten. Der Versuch mündet in einen schönen gelungenen Handke-Essay; an keiner Stelle sich an den Autor oder das Werk anbiedernd, zeichnet Amann eins der kontinuierlichen Merkmale von Handkes Schreiben nach, seine „Begriffsstutzigkeit“, seine Weigerung, die Dinge so zu nehmen, wie sie zuerst scheinen, und Amann macht deutlich, welches enorme Potential von produktiver Verweigerung und Widerstandskraft gegen die Normalwelt in der Begriffsstutzigkeits-Ästhetik Handkes liegt. Amanns Essay taugt schon in dieser Form als kleine Einführung in das Werk Peter Handkes, doch wäre zu wünschen, der Literaturwissenschaftler könnte seinen Fähigkeit, Handke zu vermitteln, doch endlich auch in einer Monografie verwirklichen!
Was die Würdigkeit des neuen Ehrendoktors betrifft, so hat der Ausgezeichnete es seinen Auszeichnern nicht allzu schwer gemacht. Wie Peter Handke sich etwa in dem Hamm-Film „Der sanftmütige Spieler“ präsentiert, das dokumentiert ein reflektiertes Rollenverständnis und große Routine eines Schriftstellers, der gewohnt ist, seine Autorschaft geradezu goethehaft darzustellen und begreiflich zu machen. Für ein Ehrendoktorat ist der Sechzigjährige längst reif; sein letzter angeblicher Exzess, die Forderung nach „Gerechtigkeit für Serbien“, entpuppt sich immer mehr als eine pro-europäische Wahrnehmung, die vielen die Augen für unseren vom einseitigen Medienkonsum verstellten Blick geöffnet hat.
Handke in seiner Klagenfurter Rede trägt nichts zur Selbsterläuterung bei und betätigt sich ganz und gar nicht in eigener Sache, sondern nur als Kärntner Literatur- und Geschichtspädagoge. Er vermittelt seinem erstaunten Publikum drei Bücher von Kärntner Slowenen, Zweiter-Weltkriegs-Partisanenliteratur: „Gamsi na plazu“ („Gemsen auf der Lawine“ von Karel Prušnik-Gašper; „Mali ljudje na veliki poti“ („Kleine Leute auf einem großen Weg“ dt. „Für das Leben, gegen den Tod“ von Lipej Kolenik; „Das Kind, das ich war“ von Andrej Kokot. Indem Handke eindringlich zur Lektüre dieser drei Werke aufruft (mit „Lesen Sie gefälligst“ schließt er seine Ansprache), identifiziert er sich mit dem in Kärnten noch immer nötigen Kampf gegen das Vergessen und gegen die verlogene Erinnerungspolitik des offiziellen Kärnten.
Was bringt die Intervention des weltläufigen Autors in seiner Heimat zum Ausdruck und welche politischen Implikationen hat sie? Sie gehört zur Kettenreaktion, die auf den Brudermord an einer Sprache folgt, der dort in Kärnten im Laufe des 20. Jahrhunderts von einer banalen, braunen, anpassungs- und fremdenverkehrssüchtigen Bevölkerung durch Assimilation an sich selbst verübt worden ist. Am Anfang des 21. Jahrhunderts spricht zwar in Kärnten auf den Stadt- und Dorfplätzen fast nirgendwo mehr jemand slowenisch, aber es war trotzdem ein Pyrrhus-Sieg, denn das ästhetisch Slowenische des oppositionellen geistigen Kärnten präsentiert sich seit den Nachkriegsjahrzehnten als intellektuell und kulturell der politischen Klasse überlegene Macht. Ich denke mir die Entscheidung des Senats der Universität Klagenfurt imaginär verlängert zu Landeshauptmannwahlen des kulturellen und geistigen Landtags des Bundeslandes Kärnten, dessen Abgeordnete nur zu einem kleinen Teil in Kärnten geblieben sind, und stelle mir Landeshauptleute honoris causa vor, die zum Beispiel Florjan Lipuš, Peter Turrini, Gerd Jonke, Josef Winkler heißen.