#Sachbuch

Writing Woman, Nation, and Identity.

// Rezension von Irene Suchy

Ausgangspunkt für das Team der HerausgeberInnen und AutorInnen – Lehrende an US-Universitäten – ist Elfriede Jelinek und ihre Charakteristik als Porträtistin Österreichs „so treu wie spielfreudig übertreibend“. Das Produktionsteam des Buches geht von der Beobachtung aus, dass Erklärung von Nöten ist, wenn eine Autorin konsequent österreichischen Alltag in den Koordinaten der österreichischen Sozial- und Politikgeschichte auf die Bühne bringt. Wenn sie also ein Land thematisiert, das auf der internationalen Bühne eine geringe Rolle spielt und doch Stoff für die immer neue Beschäftigung gibt. Symptome des wirtschaftlichen Aufschwungs hinter einer Fassade der Unterdrückung, zwischen Krise und Starre – das ist ein Symptom für das weltliche Europa, für die westliche Welt. Elfriede Jelinek wird in Verbindung gebracht mit Paul Auster, Slavoj Zizek und Nadime Gordiner, mit ihren österreichischen Geschwistern im Geiste von denen nur Karl Kraus genannt ist.

Wenn Literatur eine Lesart der Weltgeschichte ist, dann wird hier mit dem Blick auf Jelineks Oeuvre die Geschichte „ihres“ Landes erzählt und darin hineinverwoben ihre eigene, mit zentralen Koordinaten wie ihr jüdisches Schicksal und ihr feministisches Denken. Ausgehend von ihren Theaterstücken, vom vorliegenden Text wie auch der Aufführungsgeschichte, publizierte Gespräche mit der Autorin einbeziehend, werden Aspekte ihres Schaffens dargestellt, die auch weit über die schriftliche Notation hinausreichen: So widmet sich Helga Kraft dem österreichischen Körper, als unsägliches Idealmaß „verkörpert“ im männlichen Körper von Arnold Schwarzenegger und Jörg Haider, verquickt mit „arischer“ Markanz und gegenüber gestellt den weiblichen Körpern in der Dichtung Jelineks: Clara S., Nora, Claudia Schiffer, Jackie O. Der Körper, furioses Element der Inszenierung als Präsenz ihrer Dichtung, gleichsam als Beweis der Realität einer Dichtung, die niemals Realität sein will und doch vom unwilligen Publikum so gern als realer Angriff verstanden wird. Wobei der aggressivste Angiff „der“ Bühne als politischer Wirklichkeit gilt, also der Burgtheaterbühne.

Indem einzelne literarisch-politische Aspekte aus dem Oeuvre herausgegriffen werden, finden die Autorinnen und Autoren einen Weg, voraussetzungslos und doch tiefgehend das Werk zu anlysieren: die postfaschistische Ideologie in den „Ausgesperrten“, die Täuschungen der „Infantilgesellschaft“, die „Liebhaberinnen“ in der Illusion der Selbstverwirklichung, „Das Lebewohl“ als Spiegel der österreichischen „griechischen“ Tragödie.

Der Band ist nach einer ausführlichen Einführung aufgebaut in einen Teil „Voices of Dissent“ – Stimmen der Misstimmung, einen Teil „Konflikte der Nationalität und Bürgerschaft“ und in einen letzten Teil zum Thema „negativen Ästhetiken“. Hier finden sich Film-Script-Vorlagen und Verfilmungen, die Verwebungen ihrer Romane zu Drehbüchern und zur österreichischen Filmgeschichte: „The third man enters the cemetary of murdered daughters“.

Auch die Präsentation des Bandes ist überzeugend: sympathisch in amerikanischer Zitierweise, mit einem konzisen, im Lesen merkbaren Abkürzungsverzeichnis, einem angenehm kleinen Fußnotenapparat, jedoch einem detaillierten Register, das Personennamen wie historische Ereignisse einbezieht.

Irene Suchy
20. Dezember 2010

Originalbeitrag

Hg. von Matthias Piccolruaz Konzett und Margarete Lamb-Faffelberger
A Critical Anthology.
Madison: Rosemont Publishing 2007.
317 S.; geb.; Euro 64,49.
ISBN 978-0-8386-42154-5.

Rezension vom 20.12.2010

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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