#Lyrik

Worte haben ein Bild gemalt

Hans Salcher

// Rezension von Claudia Peer

Vor zehn Jahren konnten sich die MusikerInnen des Ensembles „Franui“, aufgewachsen großteils in Osttirol, wohl kaum die Höhenflüge vorstellen, die sie mit ihrer schrägen Musik bis heute zu verbuchen haben: 2005 Ruhrtriennale, Preis der Deutschen Schallplattenkritik, 2006 Bregenzer Festspiele, 2007 Ö1-Pasticciopreis und Auftritte im Wiener Burgtheater. Damals, 1997, brachten „Franui“ ihre erste CD mit dem Titel Drüben heraus, die heute leider vergriffen ist. Auf dieser faszinierenden, facettenreichen, unter Insidern beliebtesten aller Franui-CDs wurde ein Gedicht mit dem Titel Das Feld neben meinem Haus vertont. Es besteht aus sieben Zeilen. Verfasst hat es Hans Salcher.

Das Feld neben meinem Haus

Zwei Holundersträuche
ein Maulwurf mit vierzehn Erdhügeln
achtzehn Kohlköpfe
Katzen und keine Mäuse
ein Bauer mit Stolz
ein wenig Gras für die Kuh
ein Feld wie ein Tuch

Wie die Figuren Alberto Giacomettis immer minimalistischer wurden, so verdichten sich Salchers Gedichte – wie auch seine Bilder – immer mehr. Ihre Komplexität nimmt zu, je einfacher sie wirken. Dieser Band an sich verkörpert mit seinen knappen 40 Seiten, was in ihm vorgeht: Reduktion, Sicht auf das Wesentliche, das Einfache, das, was schnell aus dem Auge gerät oder erst gar nicht wahrgenommen wird, weil es zu augenscheinlich ist.

Der Bau dieser poetischen Notizen, die hier anlässlich Salchers 50. Geburtstag versammelt sind, lässt an eine Aussage Antoine de Saint-Exupérys denken: „Perfektion ist nicht dann erreicht, wenn man nichts mehr hinzufügen, sondern wenn man nichts mehr weglassen kann.“ Rein formal verfügen zehn der neunzehn Gedichte über keine Überschrift und einige davon gelangen über den Raum einer Zeile nicht hinaus. Das weiße Feld, in dem die Wörter liegen, bleibt somit groß. Es reizt nicht zu Gedankenflut und ist medial alles andere als überfrachtet. Der weiße Leerraum verschenkt Ruhe und Dauer, wenn man sich auf die Worte einlässt, die darin aufgetürmt oder hingelegt sind.

Im Klappentext ist treffend zu lesen, dass der in Osttirol geborene und lebende Hans Salcher ein „Philosoph des Kleinen und Unscheinbaren“ sei. Vergleiche mit „Naiver Kunst“ oder „Art Brut“ sind schnell wieder verworfen. Salcher ist nicht zuordenbar, seine Kunst nicht roh und unverfälscht. Er ist ein Dichter und Denker, dessen minimalistische Ergüsse Produkte langer Gedankenketten sind, die bewusst ohne instrumentelle Vernunft, ohne Kalkül auskommen.

Ein gewisser Wortwitz ist wohl besonders kennzeichnend für die Lyrik Salchers. Zynismus und Sarkasmus sind seine Sache nicht. Vielmehr ist es die – nach seinem Wiederauftauchen aus der Alkoholsucht – wieder entdeckte kindliche Freude, die den Dichter antreibt, die seine Lyrik leichtfüßig, humorvoll und sehnsüchtig macht, zugleich aber auch das Melancholische und Abgeklärte darin nicht tilgen kann. Gerade dieses Spannungsverhältnis ist es, das Salchers Texte zu sprachlichen Kleinoden macht.

Jedem Gedicht folgt ein die Seite füllendes Bild, das Salcher selbst anfertigte. Pardon: Worte haben ein Bild gemalt. Es sind die Gedichte selbst, die sich in den Bildern vergegenständlichen. Mit einfachen, klaren Pinselstrichen und kräftigen Farben. Erinnert wird man dabei an von Kindern aufgeklebte Buntpapiere.

Es ist das Prisma des Kinderblicks, durch das der Autor schaut, um so unverfälscht wie nur möglich wahrnehmen und aufnehmen zu können. Um zu dieser innerlichen Ruhe und Offenheit zu finden, hat sich der Dichter und Maler vor 16 Jahren etwas ganz Spezielles ausgedacht: Von Mai bis November bewacht er Tag für Tag als Mautner die Bergstraße zum Hochstein-Gebiet in Osttirol. Dabei lebt er auch sein Künstler-Dasein: Das Mauthäuschen dient als Atelier, das er Wanderern gerne zeigt, die kleine Bank davor lädt ein zum Grübeln, Diskutieren oder auch nur Verweilen. Täglich ist auf einem Schild beim Mautschranken ein neuer Spruch zu lesen, der die Urlauber und Einheimischen auf ihrem Weg ins Gebirge begleiten soll, wie: „Sei lieb zum Berg / Er ist alt“ oder „Sei Mensch / Steine / haben wir selbst“. Dass er seine Worte auch lebt, zeigt in diesem Zusammenhang ein Vorfall, der sich vor einigen Jahren an seinem Mauthäuschen ereignet hat: „Kehrt um, ich lasse euch nicht durch! Menschen wie ihr haben sich die Berge nicht verdient“, schrie er einigen Hakenkreuz tragenden Neonazis entgegen, woraufhin diese die Flucht ergriffen.

Freuen wir uns auf seine Erzählung Vater, die im Herbst erscheinen wird.

Worte haben ein Bild gemalt.
Bilder und Texte.
Innsbruck, Bozen, Wien: Skarabaeus, 2006.
40 Seiten, broschiert, mit Abbildungen.
ISBN 978-3-7082-3215-7.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Rezension vom 16.08.2007

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

Informiert
bleiben

Sie können 3 Newsletter abonnieren:

  • Literaturhaus Wien News
  • Literaturhaus Wien Veranstaltungsprogramm
  • Österreichische Exilbibliothek News

Bitte schicken Sie uns eine entsprechende Nachricht mit dem Betreff „Newsletter bestellen“. Für Abbestellungen bitte im Betreff „Newsletter abbestellen“ schreiben.