#Sachbuch

Wolfgang Bauer

Paul Pechmann (Hg.)

// Rezension von Kurt Bartsch

Im September 2005 reagiert Peter Handke in einem Schreiben an Alfred Kolleritsch (abgedruckt als abschließendes Dokument im 2008 bei Jung und Jung erschienenen Briefwechsel der beiden) auf den Tod des gemeinsamen Dichterfreundes Wolfgang Bauer mit einer entschiedenen, ja der unfassbaren Endgültigkeit des Abschieds trotzenden Reaktion: „‚Noch ist Wolfgang Bauer da? Nein, für mich noch und noch“. Für ihn sei er „in Gestalt seines Herzens (ja, das hatte er, ein ganz Seltener) und seiner Bilder (die hatte er, als ein ganz Seltener)“ immer präsent. In (scheinbarem) Widerspruch zu der Handkeschen Wertschätzung des verstorbenen Freundes steht die Beobachtung Paul Pechmanns in der Einleitung des vorliegenden Dokumentationsbandes, dass Bauer (mit Worten Peter Weibels von 2006) „noch zu entdecken sei“ und – jedenfalls quantitativ gesehen – seit längerem als Stiefkind der Forschung gesehen werden müsse.

Tatsächlich hat die Literaturwissenschaft mit wenigen Ausnahmen (der Monographie Gerhard Melzers aus dem Jahr 1981, dem Dossier von 1994, dem Sammelband Bauer Play von 2001 und einigen ganz wenigen beachtenswerten Hochschulschriften) das Werk sträflich vernachlässigt – und auch die Theater haben ihm in den letzten zwei Jahrzehnten nur mehr marginale Aufmerksamkeit geschenkt. Ursachen dafür gibt es mehrere, am treffendsten erscheint Pechmanns Mutmaßung, der Autor passe nicht so recht in eine der gängigen Schubladen (Traditionalismus, Avantgarde, Postmoderne, Pop), unterläuft er doch gerade solche Schubladisierungen schlechterdings so lustvoll wie systematisch. Jedenfalls wurde im Juni 2007 bei einem Symposion im Rahmen einer Bauer-Ausstellung des Grazer Stadtmuseums der Versuch unternommen gegenzusteuern. Die Beiträge dieser Tagung erscheinen in dem vorliegenden Band, erweitert um den Vortrag, den Jörg Drews im Wiener MAK anlässlich der Übernahme der genannten Ausstellung über die noch stiefmütterlicher als die Dramen behandelte Lyrik Bauers gehalten hat.

Von diesem Beitrag lässt sich das Beste sagen, was sich von einer literaturwissenschaftlichen Arbeit sagen lässt: er macht Lust auf die (Wieder-)Lektüre von Bauers Gedichten, deren Einzigartigkeit darin liegt, dass sie kalkuliert „großartig miserabel“ (im Selbstverständnis – siehe Untertitel zu Das stille Schilf – „schlecht“) und solcherart schon wieder „herzbewegend“ sind. Wider alle gängigen Erwartungen zu ihrer Entstehungszeit (und noch heute) zielt diese Lyrik auf das „Pathetisch-Großspurige“, erscheint angestrengt „affirmativ“, „lyrisch unmittelbar und naiv“, enthusiastisch – und doch: immer wieder läuft etwas schief oder ins Leere, die „rührend großspurige Theatralik“ stürzt – mit Raffinement kalkuliert – ab ins „hohl“ Klingende. Lapidares Fazit von Drews: „mehr falsche Bilder, lächerlich forcierte Metaphern für das Feindbild ‚Sprache‘ gab es noch nie“. Bauers Lyrik unterläuft jegliche Prätention, jeden Bedeutungsanspruch, ist aber nur scheinbar naiv, lässt sich vielmehr gerade in ihrem Misslingen mit Kalkül zugunsten von Einsicht ins „Schlechte“ in der Nachbarschaft sehen zu Größen wie Joyce, Ehrenstein, Schwitters, Jandl, Rühm, Arno Schmidt oder auch Dieter Roth (dem Künstler, der als Lyriker noch zu entdecken wäre).

Die Beiträge der Grazer Tagung weisen eine bemerkenswerte Bandbreite auf, von einem Essay Günter Eichbergers aus betont persönlicher, amikaler Sicht über die miteinander befreundeten Dichterkollegen Bauer und Falk, lustvoll inspirierend, mit satirischen Seitenhieben sowie von den literarisch philosophischen Annäherungen eines Ferdinand Schmatz – die im übrigen ebenfalls der Freundschaft Bauer-Falk die (gebührende) Referenz erweisen – bis zu Ausführungen mit höchstem theoretischen Anspruch, wie denen von Thomas Eder oder Ralf B. Korte. Jener unterwirft die frühen Stücke Bauers einer kognitionswissenschaftlichen Analyse und spürt der Thematisierung von „Zuschreibung[en] von mentalen Zuständen an andere“ nach, fragt nach der „Simulation der Simulation, die die jeweils anderen zum Zweck des Mindreading“, einer in den gegenständlichen Werken thematisierten alltäglichen Tätigkeit, unternehmen. Korte kontrastiert theoretische Informationen über die technische Entwicklung des Telefons und technologische, kommunikationstheoretische sowie kulturhistorische Ausführungen (z. T. mit Sprachspielen wie etwa einem solchen über „notrufe“) mit Zitaten aus Magic Afternoon, Magnetküsse und Batyscaphe in einer Montage, die dem Raffinement der den Bauer-Texten eingeschriebenen Reflexionen in nichts nachsteht.

Es fehlt auch nicht ein streng philologischer Beitrag, der sich mit dem Nachlass des Autors und textgenetischen Problemen befasst. Er gehört – und das mag überraschen – zu den spannendsten. Sein Verfasser Thomas Antonic (der 2007 in Wien eine beachtenswerte Diplomarbeit zum Spätwerk Bauers vorgelegt hat) lässt nämlich eindrucksvoll erkennen, wie der Nachvollzug von Arbeitsschritten des Autors, konkret demonstriert am Beispiel von Magic Afternoon und Café Tamagotchi, neue Sichtweisen ermöglicht, etwa wenn ein Textzeugnis zum erstgenannten Drama „suggeriert, dass man, wie später in Silvester und (viel später) in Skizzenbuch zugleich das Stück und dessen Entstehung sähe“, wenngleich die Thematisierung der Schaffenskrise in der endgültigen Fassung von Magic Afternoon verknappt erscheint (aber später in Silvester als zentrales Thema wiederkehrt). Unterstützt durch Faksimiles von Typoskriptseiten und Skizzen wird die akribische Arbeitsweise des Autors nachvollziehbar gemacht und der Mythos von Bauer als einem genialisch in einem Wurf Texte hinschreibenden gründlich unterlaufen.

Philologische Genauigkeit zeichnet auch den Beitrag von Herbert Gamper über „Leben und Tod“, über die Allgegenwärtigkeit von Bildern des Todes im Werk Bauers aus. Vom provokanten Diktum des Autors, „so richtig lebendig“ würde man erst durch das Sterben, spannt der Interpret einen Bogen zur Gedankenlyrik Schillers, dessen Abhandlung Über die ästhetische Erziehung Bauer und Falk in ihrem Manifest Happy Art & Attitude apostrophiert haben. Gamper beobachtet frappante Parallelen in der Auffassung des Realen als Scheinhaftes, des ästhetischen Scheins als „Jenseitswelt“, die bei Bauer allerdings – Differenzen werden in der Analyse keineswegs übergangen – „als subjektive Hervorbringungen“, als Ergebnis von Halluzinationen, von Rauschhaftem etc. erkennbar sind (und insofern eher einer romantischen denn klassischen, Schiller nahen Haltung entsprächen). Die begriffliche Unfassbarkeit des Nicht-abgrenzen-Könnens von Leben und Tod versucht der jüngere Autor zudem mit Blödeleien zu überspielen, gerade in diesem Überspielen jedoch auch erst bewusst zu machen.

Dass dieses Grenzgängerische im Werk Bauers sich nicht auf Blödeleien reduzieren lässt, beweisen auch die Ausführungen von Wenzel Mraček, der die in verschiedenen Dramen Bauers manifeste Faszination durch Phantasien über den künstlichen Menschen in einen großen kulturhistorischen Kontext stellt und einen Bogen spannt von der Antike, vom Konstrukt der ideal schönen Frau des Zeuxis, dem Pygmalion-Mythos aus den Ovidschen Metamorphoses bis in die Gegenwart mit ihren Möglichkeiten der Transplantationsmedizin, des Klonens und der Gentechnik, aber auch zu künstlerischen Vorstellungen, etwa der Body Art. Der Beitrag von Mraček sprengt in seiner Materialfülle beinahe den vorgegebenen Rahmen eines Aufsatzes undweckt den Wunsch nach einer umfassenderen Darstellung.

Kino, verstanden als „eine kulturelle Praxis“, war für Bauer eine „Droge“ von kaum zu überschätzender Bedeutung auch für das literarische Werk, wie Wilhelm Hengstler sowohl dokumentierend als auch in einem analytischen Vergleich der Entwicklung von „Instrumentarien bzw. Grammatiken vom Phantastischen als eigentlich Realem“ bei Bauer und David Lynch herausarbeitet, der neben Brian dePalma, Roman Polanski, Francis Ford Coppola und einigen wenigen anderen zu den größten Anregern des Autors gehört. Ein „Wunder“, so Hengstler, dass dieser trotz seiner Affinität zum Filmischen vom Filmbetrieb gleichwohl weitestgehend unbeachtet blieb, aber auch, dass er selber offensichtlich Distanz hielt.

„Die Existenzweise des Künstlers scheint Bauer wesentlich mehr zu interessieren, [!] als dessen Produkt.“ Dieser Ansicht von Holler-Schuster, der sich dem bildkünstlerischen Schaffen Bauers zuwendet, kann uneingeschränkt zugestimmt werden – daher auch bewegte sich der Autor als Zeichner so selbstverständlich wie als Literat, und sein Zugang zu – wie angedeutet – Film und (leider im vorliegenden Band nicht berücksichtigt) Musik ist gleicherweise ein lustvoll leidenschaftlicher. Im Sinne der Avantgarde kennt Bauer keine Grenzen zwischen den Künsten, zwischen ernst und unterhaltsam, zwischen Hochkultur und Trash. Sein dramatischer Schaffensprozess ist immer auch begleitet von bildkünstlerischen Kreationen (ähnlich Dürrenmatt), dieser eröffnet (nicht unähnlich Kafka) eine „zusätzliche Ausdrucksform“ für die in ihm lebendigen Bilder, und „die hatte er, als ein ganz Seltener“, so eben Handke. Die im Band abgedruckten Bilder veranschaulichen das nachdrücklich (wie überhaupt die Illustrationen des Bandes allein sein Studium wert und zu einem Vergnügen machen).

Bleibt noch ein Verweis auf einen mit Vergnügen zu lesenden polemischen Epilog, in dem Drews mit provozierendem Witz den Briefroman Der Fieberkopf gegen die modischen, auf Bestsellerlisten schielenden Romanschinken ausspielt. Sein Plädoyer für „schlanke Bücher“ erinnert an Jandls Verdikt von 1966, in dem dieser das lange Gedicht „zum/höllerer“ wünschte – hier wie dort steht dahinter der Wunsch nach formal avancierteren Texten. Auf breite Rezeption zu schielen, ist – da stimmt man Drews gerne zu – fragwürdig, ein wenig mehr Aufmerksamkeit für Wolfgang Bauers Schaffen darf man sich dennoch wünschen. Der vorliegende Band, der unterschiedlichsten Erkenntnisinteressen folgt, ist durchaus dazu angetan, in diese Richtung zu wirken.

Paul Pechmann (Hg.) Wolfgang Bauer
Lektüren und Dokumente.
Klagenfurt: Ritter, 2008.
207 S.; brosch.; m. Abb.
ISBN 3-85415-411-2.

Rezension vom 09.12.2008

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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