Ungeheuerlich, nicht wahr?!, möchte ich ausrufen, und, noch während du sprachlos vor Schreck die Luft anhälst, den Hörer auflegen, um weiterzulesen über Paare und Passanten, über Liebe und ihr Gelingen und Scheitern, da „manche nie sie erlernen, weil idioten wir sind“.
„wir verschwören einander und schenken uns wahnsinn. wie schön sie wird sein die welt im nüchternen zelt. und wir uns halten verschränkt die hände, um nicht mehr zu ertrinken. bis es so weit wir zerrende nacht verschenken mit einem spiel, wo wird er wo wird sie so spät noch sein? junge damen zur stimmung du suchst auf und trunken in fremde betten du fällst und ich so ohne dich minuten zähle bis die vögel sie dem tag übergeben. es ist drei, tick tack, es ist vier, tick tack, ein starres sitzen hin bis zum hals und du wieder und wieder schwörst mir nicht mehr verschwörung nach gelungenem sprung auf dir fremde frau. doch rache an dir und mir muss sein, so ziehe ich, wenn du zu müde vom unsteten treiben, für dich in die nächte und wache auf in fremden betten, und wieder und wieder ich schwöre nicht mehr verschwörung nach gelungenem sprung auf mich fremde frau.“
Verletzlich nah sind sich die Liebenden bei Rosa Pock, und einander plötzlich doch erschreckend fremd, verwirrt und verwundet, gezeichnet vom Kampf in der „freien wildbahn“ kehren sie zueinander zurück, „das spiel zu dritt auf dauer es wird zu gefährlich“.
Ich möchte erneut zum Telefon greifen und dir, weil ich es nicht besser sagen könnte, Hanns Zischlers Sätze über Botho Strauß’ Buch Sie/Er vorlesen, denn „mit kühner, gärtnerischer Hand“ hat auch Rosa Pock „die überbordende Prosa […] zugeschnitten und gelichtet und gerade dadurch erneut verdichtet, mit dem […] Ziel, uns den delirierenden Reichtum und die Unbeirrbarkeit dichterischer Sprache erneut vor Augen zu führen“. Doch geht die Österreicherin dabei noch weiter als Botho Strauß.
Sie verkehrt und verknappt die Syntax, schreibt kategorisch klein, bald somnambul, bald hellsichtig, setzt Satzzeichen eigenwillig, verballhornt Sprichwörter und Redewendungen, spielt an auf Mythen und Märchen, wendet ihre Moral und Geschicht’ in die heutige Zeit, doch „wie viel man auch dreht und wendet, es geht sich selten aus mit prinz und prinzessin, weil wir nichts als verliebt in eigene illusion und traurig wir zusehen, dass dieser prinz ein schweinehund und diese prinzessin ein berechnendes luder“. Und wie sollten sie auch anders sein, „jetzt, da die krise an häuser pocht, […] hand in hand wir werden gehen durch brotlose zeit, doch du hast genug davon, wo nichts mehr zu holen, geplündert sie sind die konten, da wird kalt die liebe um diese jahreszeit“. Illusions- und schonungslos holt uns die Ich-Erzählerin aus der Dichtung in die profane Realität zurück, in den „freizeitpark der lebendigen leichen“, und ihr Monolog fängt seismografisch die Erschütterungen der Gegenwart ein und die Vorbeben der Zukunft.
Eingerahmt wird die Titelgeschichte von zwei Prosastücken, Lebenserzählungen – und „was da alles an Kleinigkeiten und Großigkeiten abläuft: das ist von einer zauberhaften Sicherheit und wunderbaren Stimmigkeit“ (Urs Widmer). In der ersten Geschichte begegnen wir anton und antonia, „von gott, wie sie sagten, für einander bestimmt“. Bei einer Theateraufführung haben sie sich verliebt, haben katholisch geheiratet, Töchter und Söhne bekommen, und nur durch antons Dienst an der Ostfront für drei Jahre getrennt, leben sie Seite an Seite bis ins hohe Alter miteinand‘, „anständig, duldsam, fleißig, bescheiden und gottesfürchtig“ – der „Ich-Gedanke“ (Josef Bierbichler) ist ihnen ganz fremd. „ihre these ist: der mensch hat nicht das recht zu verzweifeln.“ Nicht am Krieg, nicht am Konkurs, nicht am Verlust des ältesten Sohnes. Denn wo Leben ist, da ist auch Sterben, „einem Leben, das Vergänglichkeit und Tod nicht wahrnehmen will, geht seine Gestalt verloren und mündet im lediglichen Überleben“ (Rosa Pock). Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, und auch wenn anton und antonia die Welt nicht mehr verstehen, „ihr glaube bleibt“.
Mit „mitleidslosmitfühlenden Blick“ (Eva Behrendt) schaut Rosa Pock auf ihre Figuren, erzählt lakonisch, behutsam, leise humorvoll von der Gottergebenen Freud und Leid, und was Stoff für einen Jahrhundertroman bieten würde, packt sie in wenige lebenspralle Seiten, schleift ab, reduziert und verdichtet – „Alles was nicht notwendig ist, wird nicht geschrieben“ (Rosa Pock) – bis alles, was geschrieben ist, auch notwendig ist, Wort für Wort, Satz für Satz, rhythmisch aneinandergereiht. Und nicht nur ihre Sprache ist frei von allen Schlacken, von allen „gesuchte[n], gewundene[n] und poetisch parfümierte[n] Wörter[n]“ (Christiane Zintzen), auch die Lebensverläufe ihrer Figuren sind auf das Wesentliche, Existentielle reduziert.
Für anton und antonia war das Wesentliche das „vom vater und von der kirche installierte gesetz“, für maria und paul, die jungen Liebenden in der letzten Erzählung, ist es das Ziel, „sich nicht zu verfehlen“ – was auch immer das bedeutet. maria verbringt ihre freizeit mit träumen und wünschen und büchern, paul seine ganze Zeit in gastgärten und cocktailbars. Er hat sich nach drei Jahren von seiner Freundin getrennt, „er soll gesagt haben, es sei nicht zu ertragen, wie sie in den apfel beiße“. Nun will er allein sein und nachdenken, er geht zum Heurigen und setzt sich zu maria, „sie schaut ihm in die augen, bis es um ihn geschehen ist“, er ist hingerissen von ihren „blonden haaren, schönen beinen und blauen augen, die ein geheimnis hüten“, und wer glaubt, das müsse doch zu wenig sein, der weiß schon zu viel über die Blindheit des Liebenden „in Zeiten des Kapitalismus“ (Eva Illouz): manisch selbstbesessen, hochreflektiert und autonom sind maria und paul, und dabei orientierungsloser und verunsicherter denn je. Denn „wann wäre nicht Krise? Begehren und Liebe und Geld – und natürlich Untreue und Leid und Bankencrash“: der Handel mit Gefühlen, er geht nicht auf. „einen reichen sohn hat sie kennengelernt, einen armen sohn hat sie geheiratet, die eltern von paul unterstützen ihn seit der vor ihnen verschwiegenen hochzeit nicht mehr. eine sphinx hat er kennengelernt und eine frau geheiratet, die mit dem vermögen seiner eltern gerechnet hat. er bereut seinen zufall, sie bereut ihren zufall, ihren sohn lieben beide“, aufeinander eingespielt in ihrem wunschlosen Unglück. Ich aber bin glücklich, „möchte nur verschwinden in einem auf das Werk weisenden Gestus: Hier! Das lesen! Nichts von einem Sog, der Argumente anzöge; nur der Wunsch, vorzulesen“ (Rainald Goetz).