Kathrin Rögglas Roman wir schlafen nicht nimmt die Arbeitswelt genau unter die Lupe. In 16 Kapiteln analysiert sie das Phänomen Arbeit als Droge und den Druck, der auf Leuten lastet, die es eigentlich geschafft haben. Doch Sicherheit und Ausruhen gibt es nirgends, schon gar nicht in der New-Economy-Welt, die Tag und Nacht online ist. Röggla beschreibt die aufkommende Katerstimmung und Verunsicherung nach den ersten Crashes des New-Economy-Hypes.
Sechs Figuren irren auf einer Messe herum, werden von einem fiktiven Interviewer befragt. Sie erzählen in indirekter Rede vom täglichen Wettbewerb darum, wer weniger Schlaf brauche, denken darüber nach, daß man eine Autoklasse unter dem Chef bleiben solle, reflektieren über „harte bwl “ und „mckinsey-prüfer“ oder geben zu, daß der „life-style“ des „short-sleeping, quick eating und diese ganzen nummern, und das hotelgeschlafe, das business-class-gefliege, das first-class-gewohne“ sie total nerve, denn: „man könne die minibar nicht mehr sehen“. Fehlendes Privatleben ist die Folge und man reflektiert, wie schwierig es ist, wieder runterzukommen, ist man endlich mal zu Hause. Der Schritt zum branchenüblich eher hohen Alkoholkonsum („man müsse eben immer mithalten. man müsse nicht nur durch die sektempfänge, man müsse auch durch die reihen der weißweinschorlen durch“) ist dann nicht mehr weit. Die Praktikantin wiederum kämpft mit ihren „malboro-jobvorstellungen“ und damit, daß kein Praktikum bezahlt ist, weil Arbeit mehr und mehr als Ausbildung verkauft wird.
Arbeit ist in der Literatur wieder zum Thema geworden. Mehr noch im Theater als in Romanen ist es interessanterweise wieder „schick“ geworden, sich über Arbeitsprozesse, die uns bestimmen, Gedanken zu machen. Von Gesine Danckwarts Täglich Brot bis zu den energetisch überdrehten Diskursen eines René Pollesch, der am radikalsten einen gesicherten Standpunkt des Subjekts zurückweist: Die Firma hat sich längst in uns verflüssigt. Die New Economy ist nicht außerhalb von uns – sie sitzt wie ein Schmarotzer tief in uns drinnen.
Rögglas Zugang ist auf eine Art traditioneller, man kann so etwas wie Figuren zuordnen und merkt dem Roman seinen stark journalistischen Hintergrund an – rund 25 längere Interviews hat Röggla mit Consultants, Coaches, Programmierern und Journalisten geführt, bearbeitet und dann themenspezifisch montiert. Ihren Theaterstücken verwandt, reiht sie montageartig kleine Monologe und Dialoge aneinander und kreiert so ein polyphones Stimmengewirr. Es geht um Menschen, die sich orientieren wollen und dabei Sprache absondern, was mitunter einen eigentümlichen Sog erzeugt, beobachtet man doch Menschen ganz direkt beim Denken über ihre verzwickte Situation. Aus der Romanfassung ist hinterher auch eine kürzere Theaterfassung (veröffentlicht in der Fachzeitschrift Theater heute, Uraufführung ist im April 2004 am Düsseldorfer Schauspielhaus) entstanden.
Aber auch der Roman wir schlafen nicht ist ein eigenartiges Hybrid geworden: ein Roman, der auf den ersten Blick wie ein etwas zu langer Theatertext wirkt und dadurch manchmal doch gehörig auf der Stelle tritt. Hinzu kommt, daß das Panoptikum an Stimmen, die zu sich durch indirekte Rede auf Distanz stehen, phasenweise zu nah an der journalistischen Recherche, am Interview, bleibt. Es gibt Passagen, die man sich fast eins zu eins so gesagt vorstellen kann, die sprachlich etwas unbefriedigend neben Stellen stehen, die raffiniert verdichtet und schön zugespitzt sind: „jetzt seien sie alle aus ihren pronolöchern herausgekrochen und in dieses frühstücksdickicht hinein, das ein einziges abwerbefrühstücksdickicht gewesen sei“. Dann wieder bleibt der Text zu dokumentarisch am Boden kleben.
Spannend wird es am Schluß, wenn eine Art Zombiestimmung aufkommt. Wer von diesen Menschen lebt auf dieser seltsamen Messe eigentlich überhaupt noch, wer ist schon längst tot? Rögglas Selbstbefragung der Untoten (ein Jelineksches Thema) und die aufkommende Katastrophenstimmung haben natürlich viel theatralisches Kapital, das zum Inszenieren reizt. Man muß, vom Schluß her aufgerollt, wahrscheinlich manches anders betrachten, was man zuvor ganz realistisch gelesen hat. Arbeit wird mehr und mehr als diffuses Angstsystem begreifbar, als ein Mechanismus, der aus Menschen Maschinen macht. Von diesem New-Economy-Zombie-Splatter hätte man gerne noch mehr gelesen.