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Wir erben

Angelika Reitzer

// Rezension von Peter Clar

Vom banalen Sein

An sich sind es zwei Geschichten, die Angelika Reitzer in ihrem neuen „Roman“ Wir Erben erzählt. Und eigentlich ist es eine ganze Menge an Geschichten, die erzählt, oder besser, angedeutet werden, oft nur mit einem Halbsatz. Geschichten von Personen, die in den Leben der zwei Protagonistinnen Marianne und Siri auftauchen und wieder verschwinden, die die Leben der beiden beeinflussen – Mariannes Freundin Juliane beispielsweise oder Siris Eltern. Und sowohl Marianne als auch Siri sind füreinander Episoden aus der Vergangenheit, durchaus wichtige Episoden, vor allem für Siris Leben ist das Treffen mit Marianne von großer Bedeutung, weil Erlebnisse nie abgeschlossen sind, weil wir immer Erben unseres eigenen, in der Vergangenheit liegenden Seins sind.

Warum die beiden einander wiederbegegnen, warum die beiden Geschichten zu einem „Roman“ zusammengefasst sind, wird nicht eindeutig ersichtlich, aber es ist vielleicht auch egal, wie auch die Leben der beiden Protagonistinnen „egal“ sind, keine „großen Erzählungen“. Dafür wäre vielleicht ansatzweise noch Siris Leben geeignet, die zumindest – wie zynisch klingt das in diesem Zusammenhang – eine Flucht aus der DDR hinter sich hat, wenn auch als Kind und in einer Zeit, als das totalitäre Regime schon kurz vor dem Zusammenbruch stand. Ihr Leben, so könnte man sich vorstellen, böte eventuell den Stoff, aus dem große Romane entstehen, ganz im Gegenteil zum Leben der Gärtnerin Marianne, welches aber wesentlich mehr Platz eingeräumt bekommt.

Wie im Falle Siris die Geschichte der Eltern die „interessantere“ gewesen wäre, hätte die Autorin die Geschichte des geteilten Europa, die Geschichte von (passivem) Widerstand und Flucht erzählen wollen, so böte sich in Mariannes Fall wohl eher die Geschichte der Großeltern, jener Auswanderer, die als weiße Herrschaften lange in Afrika lebten, bevor sie sich zur Rückkehr entschlossen, als die „spannendere“ an.

Doch Angelika Reitzer geht es nicht um den Versuch, anhand einer oder zweier Familiengeschichten die europäische Weltgeschichte zu verhandeln. Es geht im Gegenteil um das trotz der individuellen Tragödien – der Alkoholsucht von Marianne, des Sterbens von geliebten Menschen, des Liebens, Verlassens und Verlassen-Werdens – banale Sein eines „ganz  normalen Menschen“, das voller Kämpfe, voller Enttäuschungen und Verluste, aber auch voller Höhepunkte und Hoffnungen steckt. Und es geht auch um das Leben zweier Frauen, die beide (fast) alles haben und denen doch etwas fehlt.

Erzählt wird dabei der erste, um einiges längere Teil aus der Sicht Mariannes, zumeist personal, ab und zu auch aus der Ich-Perspektive, der zweite Teil gibt in personaler Form die Geschichte Siris aus ihrer Sicht wieder. Die Sätze sind in der Mehrzahl einfach und kurz gehalten, brechen oftmals wie unvermittelt ab und lassen vor allem, wenn dort und da doch die „große“ Geschichte einzubrechen droht, etwa Fukushima oder das Attentat von Breivik, mehr offen als sie aussprechen.

Offen bleibt auch, was mit den Protagonistinnen weiter passiert, es gibt nichts, wohin die beiden zu steuern versuchen, nichts, was das Leben der beiden groß verändern könnte. Ob Marianne und Eric zusammenfinden, ob Siri vielleicht doch wieder künstlerisch tätig wird oder was mit Mariannes Sohn Lukas passiert, ist nicht Thema des Romans. Denn „das Fremde, Unmögliche fasziniert einen, aber man beschäftigt sich mit Naheliegendem“.

Wir Erben.
Roman.
Salzburg: Jung und Jung Verlag, 2014.
344 Seiten, gebunden.
ISBN 978-3-99027-051-6.

Homepage der Autorin

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autorin

Rezension vom 01.03.2014

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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