#Roman

Wimperntierchen

Günter Eichberger

// Rezension von Spunk Seipel

Wimperntierchen faszinieren Günter Eichberger so sehr, dass er sein neuestes Buch nach diesen benannt hat. Da sich nicht jeder Leser an den Biologieunterricht erinnern kann, hat der Autor dankenswerterweise in seinem Band das Wesen der Wimperntierchen noch einmal erklärt und sogar ein Bild eines solchen Tierchens eingefügt. Der Grazer Autor hat sein neuestes Werk sogar in der Struktur den kleinen Lebewesen angepasst. Das gibt dem Titel eine mehr als gute Begründung und ist ein genialer Einfall, für einen Autor, der seine Texte aus Collagen von Zitaten, unterschiedlichen Motiven und mäandernden Gedankengängen zusammensetzt.

Wimperntierchen sind seltsame Einzeller, die sieben Geschlechter haben können und sich doch geschlechtslos durch Verdoppelung vermehren können. Dadurch können sie unendlich leben, kann man bei ihnen doch weder Geburt noch Tod feststellen. Seltsam diffus bewegen sie sich durch Raum und Zeit, durch die verschiedensten Elemente und sind schwer zu fassen. Genauso geht es dem Leser mit der ‚Erzählung‘ in diesem schmalen Band. Zusammengesetzt aus Versatzstücken bekannter Kinofilme und Bücher, anderen Texten sowie der Popmusik, wird die Geschichte eines Auftragskillers, einer Prostituierten und eines Spielers erzählt. Wer die Filme (Schwerpunkt Godard) und Bücher, die der Autor dankenswerterweise in einem Anhang auflistet, nicht kennt, wird sich schwertun mit dem Erzählstrang. Für jeden, der sich an Gesehenes und Gelesenes erinnern kann, ist es eine Freude zu erleben, wie Eichberger zusammenfasst, verkürzt, auf das Wesentliche reduziert und mit den Quellen spielt, etwas ganz Neues schafft und es als Ausgangsmaterial für seine Gedankengänge nutzt.

In immer wieder neuen Ansätzen, das Buch ist in drei Teile und zahlreiche kurze Unterkapitel gegliedert, von denen das kürzeste gerade einmal vier Zeilen lang ist, wird diese Dreierkonstellation durchgespielt. Ein eigentlicher Handlungsstrang ergibt sich nicht. Es sind Observationen eines anonymen, undeutlich bleibenden Schreibers, der die Figuren, die ebenso anonym und gesichtslos bleiben, beschreibt. Manchmal kommt er ihnen sehr nahe, zumeist wird eine große Distanz gewahrt. Keine der Figuren wird dem Leser nahegebracht, für keine kann man Sympathie oder Abneigung entwickeln. Es sind, wie die Wimperntierchen, schwer zu fassende Gestalten, die sich diffus durch Zeit und Raum bewegen.

Eichberger konzentriert sich, und dies ist seine literarische Stärke, auf das, was im Kopf des Betrachters geschieht. Dabei gleitet er bewusst oft von der eigentlichen ‚Handlung‘ ab. Ihm geht es um das Prototypische einer Konstellation. Er nutzt die Personen und ihre diffusen Handlungen, um seine Gesellschaftskritik, gespickt mit Sprachwitz, einzuarbeiten. Auch in diesem Band, wie schon in früheren Werken, kann man dem Autor vorwerfen, dass er zu viel will. Der Leser ist manchmal überfordert, den zahlreichen Ideen und Anliegen, den Erfindungen und Geistesblitzen sowie den belesenen Zitaten Günter Eichbergers zu folgen. Er springt von harter Pornographie zur Kritik an ökonomischen Systemen und zur Beschreibung unserer Wahrnehmung von Medien und Geschichten. Was den Text nicht leicht lesbar macht, stellt sich jedoch als eine äußerst intelligente Beschreibung unseres Umgangs mit einer überfrachteten Medienwelt dar. So ist der Kunstgriff, eine Erzählstruktur analog zur Lebensweise der Wimperntierchen zu entwickeln, ein intelligenter und witziger Versuch, dieser Welt literarisch gerecht zu werden.

Günter Eichberger Wimperntierchen
Roman.
Klagenfurt: Ritter, 2015.
104 S.; brosch.
ISBN 978-3-85415-523-2.

Rezension vom 04.03.2015

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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