#Prosa

Willkommen und Abschied

Carlos Peter Reinelt

// Rezension von Sabine Schuster

Der 22jährige Vorarlberger Carlos Peter Reinelt hat mit seinem soeben im Wallstein Verlag erschienenen Text Willkommen und Abschied den Rauriser Förderungspreis 2016 gewonnen. „Zeitraffer“ war das Thema des Wettbewerbs und Reinelt füllte diesen Rahmen mit einer kurzen, atemberaubend dichten Fluchterzählung aus, die aus dem Inneren eines Schlepper-LKWs berichtet. Ein junger Syrer ist in einem überhitzten, überfüllten Laderaum nach Österreich unterwegs, aus seiner Perspektive erfahren wir – aus größter Nähe und körperlich spürbar – die Spannung zwischen erhoffter Rettung und Ausweglosigkeit.

Der rabaukenhafte junge Mann, dessen bevorzugte Wörter „Fuck“ und „Scheiße“ lauten, ist dabei kein Sympathieträger, sein innerer Monolog schwankt zwischen Aggression, Trauer und Hoffnung, er beschwert sich über die schlechte Luft, die Enge, das Schreien eines Kindes und den Singsang der dazugehörigen Mutter, die er immer nur als „Alte“ tituliert. Dann macht er einen Schwenk in sein Heimatdorf, verflucht Allah und die Dschihads, die willkürlich junge Männer ermorden. Auch sein Freund Al-Amad ist tot, dessen junge Frau, noch ein Mädchen, hätte er gerne auf die Flucht mitgenommen, auch seine Mutter und seinen Bruder Yasin möchte er retten. Österreich hat er sich gezielt ausgesucht wegen seiner humanen Flüchtlingspolitik: „Und ich hab mich schon erkundigt, bin ja kein Idiot. In Österreich bekommt man das Doppelte, und wenns klappt, kann ich Mama und Yasin problemlos nachholen. In Ungarn schicken sie eh wieder alle heim. Die mit ihrem scheiß Zaun. Ich geh sicher nicht mehr heim. Damit ich auf offener Straße abgeschlachtet werde, nein danke! Aber das passiert eh nicht. Ich bin Syrer und kann’s beweisen, und die nehmen jetzt alle Syrer, das haben sie mir gesagt.“

Der Autor lässt seinen Helden lange nicht aussprechen, wo er sich befindet, aber man ahnt es bald, wo hier einer um sein Leben redet. Er hat ungeheuren Durst, bekommt zwischendurch keine Luft mehr, darf nicht einschlafen und nicht umkippen, nur ja nicht am Boden liegen, wo kein Platz ist, wo man möglicherweise totgetrampelt wird.

Der Monolog des jungen Mannes ist ein sprachlicher Kraftakt und in seinem Rhythmus durchaus packend. Sobald man ahnt, worauf die Geschichte hinausläuft, kann man buchstäblich nicht mehr aussteigen und muss gebannt zu Ende lesen. Hoffnung gibt es keine.

Dies vermittelt auch die grafische Gestaltung des schmalen Heftes, die schön und aufwändig ist und nur auf den ersten Blick im Gegensatz zum trashigen Text steht: Jede Seite funktioniert nämlich gleichzeitig als Bild und enthält auf dieser Ebene weitere Botschaften: Der Textblock ist etwa auf eine hohe, schmale Fläche reduziert, die den Maßstab des Kühllasters von Parndorf hat, in dem im Sommer 2015 einundsiebzig Menschen erstickten. Diese österreichische Flüchtlingstragödie war für den jungen Autor der Anstoß, sich schreibend dem Thema zu stellen.

Der anfangs gleichmäßige Schriftsatz des Textes vergrößert und verkleinert sich synchron zur Hoffnung beziehungsweise Verzweiflung der Eingesperrten und verschmilzt am Ende ganz mit dem Hintergrund, der sich sukzessive verdunkelt. Die vorletzte Seite ist anfangs noch lesbar, dann verkleinert sich die Schrift bis zur Unkenntlichkeit, ist von arabischen Zeilen durchsetzt, die letzten lesbaren Sätze sind ein Gebet, eine Beschwörung: „Allah, du hast diese Insel der Seligen erschaffen! Du hast mich hingeführt, dein Wind, dein Wind! Und gleich werden sie kommen! Ich spüre schon die Kühle, mir ist, ich werde leben! Dich werde ich preisen, die Menschen hier! Hier bin ich willkommen. Hier bin ich willkommen!“ Dann fallen die Augen zu, das Bewusstsein schwindet, die Schrift verschwimmt. Auf der letzten Seite ist das Textfeld schwarz, wird zum Bild eines Grabes.

Der Autor umrahmt dieses Todesprotokoll mit einem weiteren Textblock, bestehend aus den Worten „Willkommen und Abschied“. Sie sind in Endlosfolge in altdeutscher Schrift gesetzt und erinnern formal an manche Werke der Konkreten Poesie und inhaltlich natürlich an das bekannte Goethe-Gedicht, in dem ein junger Mann nach dem Abschied von seiner Geliebten allein durch die Nacht reitet. Allein durch die Nacht fährt auch Reinelts junger Syrer, in der Hoffnung auf die österreichische Willkommenskultur, noch nicht ahnend, dass sein Abschied von der Heimat zum Abschied vom Leben wird.

Die Anlehnung an Goethe soll, so Reinelt in einem Interview, durchaus auch ein Fingerzeig sein auf unsere vielgepriesene abendländische Kultur, auf die angsichts der Migratonswelle heftig gepocht wird, und die es trotzdem zulässt, dass solche Dinge passieren.

Carlos Peter Reinelt hat mit seinem Erzähldebut sowohl inhaltlich als auch sprachlich viel gewagt und dabei nicht nur einen Literatupreis gewonnen, seine Arbeit geht unter die Haut und setzt mit ihrem widersprüchlichen jungen Helden vielen auf der Flucht Gestorbenen ein Denkmal, ohne sich anzubiedern.

Willkommen und Abschied.
Erzählung.
Göttingen: Wallstein Verlag, 2016.
24 Seiten, broschiert.
ISBN 978-3-8353-1974-5.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Rezension vom 05.08.2016

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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