#Prosa

Willi und die Mohnblumen

Rudolf Lasselsberger

// Rezension von Helmuth Schönauer

Band 7 der Willologie.

Im Idealfall steht einem als realistischem Schreib-Helden ein literarischer Freund bei, der so etwas ist wie ein Medium, eine Therapie, der Kater am Morgen oder das Passwort für eine verzwickte URL.
Rudolf Lasselsberger hat nun schon seit längerer Zeit das Glück, dass ihm Willi beim Schreiben und Leben beisteht. Willi und die Mohnblumen heißt Band sieben der Willologie. Das Thema ist das Auffächern der Ereignisse in verschiedene Gleichzeitigkeiten.

Im Gespräch mit Willi ist es beispielsweise möglich, einen Flash auf 2013 zu riskieren, von wo aus es dann auf der Erinnerungsachse des Fußballs zurück zum legendären FC Wacker Innsbruck geht, der 1977 gegen Celtic Glasgow über sich hinauswächst und diese Eruption anschließend in einem Match gegen Melk auf den Rasen bringt. Und am Rasen steht Willi als junger Kerl und sieht, wie er durch den FC Innsbruck mit der heroischen Welt voller Fußballwunder verbunden ist.
In einer ähnlichen Erinnerungskonstruktion tauchen sogenannte Arbeitspläne bei der Post auf, Willi ist in einem Verteilerzentrum im Süden der Stadt eingesetzt und leidet wie ein Hund, weil jeden Tag neue Förderbänder aufgestellt werden, um die Sache zu beschleunigen. Mit Sache ist das kaputte Kreuz gemeint, denn die Arbeit hat sonst keinen Sinn, außer das Körpergerüst der Arbeitenden zu zerstören und später Panikattacken auszulösen.
Und diese Panikattacken ziehen sich als Rösselsprung über das Textfeld. Willi kämpft stationär, mit Medikamenten und vor allem mit herrlichen Massagen gegen die Ausläufer dieser Attacken.
Als Leser ist man durch diese Erinnerungsketten ein geheimer Vertrauter von Willi, dem Schreiber und den Themen geworden. Manchmal heißt das Thema Lena, dann sind es sogar drei Personen, die ständig die Konsistenz wechseln. Willi kann man wörtlich auch als Frage sehen, Will-I? Diese Figur erlaubt es, den Konjunktiv in die Tat umzusetzen, gleichzeitig aber auch die Handlung anzubrechen, wenn sie riskant wird.
Gleich zu Beginn entdeckt Willi nämlich, dass er einen entgangenen Anruf von Lena am Display hat, er könnte zurückrufen, „es wäre ja nur ein Rückruf“, aber da ruft sie selbst noch einmal an. Dieses Vage bestimmt das Verhältnis von Willi zu Lena, sie ist allerdings zwischendurch sehr abweisend borstig und behauptet, er berühre sie wie ein Tier, wenn er ihr ans Haar fasst. Andererseits kleben Willi und Schreiberheld wie zwei Saugnäpfe an Lena. „Man müsste sich entsaugnapfen!“ Das ist leichter gesagt als getan, bei einer unglücklichen Liebe.
Eine erinnerte Beziehung führt zurück zu Herta, mit der er einmal ein pädagogisches Studium gemacht hat. Jetzt aber liegen viele Weggabelungen dazwischen. Zusammengehalten werden die Beziehungen im Alter nur dadurch, dass die Körper kaputt sind und sich die Menschen mit Medikamenten gegenseitig aushelfen, wenn die Apotheken zu sind.
Blutdruck messen heißt soviel wie Erinnerung betreiben. Wenn alles passt, gibt es ein Eigenbussi, weil sonst niemand da ist. Willi machts möglich.
Die Literatur liegt tagelang in der Luft oder huscht durch die Stadt. Einmal geht Friederike Mayröcker über einen Zebrastreifen: „Sie ist als Ganzes ein Gedicht.“ (25) Ein andermal ist etwas logisch wie der „Sechste Sinn“ von Konrad Bayer. Dann packt der Lyriker Futscher als Beislwirt ein Gedicht aus, und schließlich helfen Ilse und Fritz vom Fröhlichen Wohnzimmer tapfer mit, dem Willi in sein Buch hinein zu verhelfen.
Das ist gar nicht so einfach, denn am Beginn müssen Widmungen, Zitate und Drucknachweise verfasst werden, für die Leser ist das so etwas wie der süße Brei, durch den sie sich ins Schlaraffenland des Textes hineinlesen sollen. Die Meta-Ebene des Buchmachens fließt durch alle Seiten, einmal heißt es, dass hier eine Zeichnung sein sollte, ein andermal wird diskutiert, wo man gendern muss, und als Höhepunkt des Buchmachens gilt das Einfügen einer „Zierzeile“ (58), die putzt nämlich jede Literatur ungemein auf.
Als Willi sieht, dass er tatsächlich ins Buch hineingekommen ist, trinkt er einmal ein paar Schnäpse, oder ist es wegen Lena?
Willi lasst sich generell nicht einfangen, schon gar nicht von Germanisten. Trotzdem gendert er manchmal und ist auch sonst mit den Gebrauchswörtern des Alltags vertraut. Vom Stil her gleicht er manchmal dem Icherzähler bei Robert Walser, wenn dieser sich in ein Blatt verwandelt, das gerade vom Baum fällt und als Kind in einer zu großen Welt am Boden aufschlägt.
Für einen Augenblick schaut der Traum einer Ägäis-Insel vorbei, es kann aber auch das neue Buch vom Futscher sein, das dieses Gefühl der Freiheit auslöst. Auf jeden Fall sind die Mohnblumen rot, ob sie nun am Gürtel stehen, im Buch herumwuchern oder auf einer Insel im Wind wackeln.
Rudolf Lasselsberger entwirft mit seinem Willi eine magisch-prekäre Erzählfigur, die ihn zu einem wesentlichen Vertreter des „Austrian Beat“ macht.

Rudolf Lasselsberger Willi und die Mohnblumen
Erzählung.
Berlin: united p.c., 2022.
64 S.; brosch.; m. Abb.
ISBN 978-3-7103-5362-8.

Rezension vom 22.02.2022

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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