Aufgrund seiner Recherchetätigkeit und seines politischen Nachdrucks konnten mehr als tausend NS-Verbrecher aufgespürt werden, darunter zentrale Akteure wie Adolf Eichmann aber auch weniger prominente Täter, wie der Österreicher Karl Silberbauer, der als SS-Mann Anne Frank verhaftet hatte und nach Kriegsende unbehelligt bei der Wiener Polizei arbeitete. Während Wiesenthal damit zeitlebens und über seinen Tod hinaus zur internationalen Ikone des Kampfes gegen das Vergessen wurde, war er seiner (Wahl-)Heimat nach Kriegsende „immer schon unbequem gewesen und musste hier besonders viele Anfeindungen ertragen“ (S. 9), stellt Danielle Spera, Direktorin des Jüdischen Museums Wien im ersten Kapitel von Wiesenthal in Wien. Wiesenthal in Vienna fest.
Im Jahr 1961 zog der KZ-Überlebende Simon Wiesenthal von Linz nach Wien und gründete das Dokumentationszentrum des Bundes der Jüdischen Verfolgten des Naziregimes. Bis zu seinem Tod wirkte Wiesenthal in seinem Büro in der Salztorgasse als vergangenheitspolitische Instanz und Vertreter der Opfer der Schoa weltweit, prägte aber auch das Leben der jüdischen Gemeinde in Wien und nicht zuletzt das Stadtbild nachhaltig. Am 20. September 2005 meldete die Austria Presseagentur seinen Tod und bereits am nächsten Tag wurde sein Leichnam in der Zeremonienhalle am 4. Tor des Wiener Zentralfriedhofs verabschiedet. Trotz Wiesenthals unbestreitbarem Einfluss auf die Aufarbeitung der NS-Zeit, war die Trauergemeinde in Wien überschaubar. Danielle Spera erinnert sich im vorliegenden Ausstellungskatalog daran, wie beschämend und respektlos sie die geringe Anteilnahme Österreichs an seinem Tod empfand.
Der im Metroverlag erschienene Ausstellungskatalog Wiesenthal in Wien. Wiesenthal in Vienna wurde anlässlich Wiesenthals zehnten Todestages vom Jüdischen Museum Wien herausgegeben.
Dem Jüdischen Museum Wien war es ein Anliegen an Wiesenthals konsequente Suche nach Gerechtigkeit zu erinnern. Der Katalog stellt Aspekte seines Lebenswerks in Textbeiträgen vor. Die Texte sind nicht nur in eine einzigartige Fotodokumentation eingebettet, sondern werden partiell durch Archivmaterialien ergänzt. Die Beiträge stammen von Danielle Spera, Marcus G. Patka, Gabriele Kohlbauer-Fritz, Michaela Vocelka, Werner Hanak-Lettner, Astrid Peterle, Andrea Winklbauer, Dan Fischman, Hannah Landsmann und Bernhard Denkinger. Alle Beiträge sind dabei in zwei Spalten pro Seiten gehalten, die jeweils linke Spalte beinhaltet die deutsche Version des Textes, die jeweils rechte Spalte die englische. Die Zweisprachigkeit ebnet den Weg für eine internationale Rezeption des Bandes. Abschließend finden sich eine Biografie Wiesenthals, die Biografien der Autorinnen und Autoren und eine Literaturauswahl. Letztere bietet auch einen Überblick über Wiesenthals eindrückliches Werk als Publizist.
Wiesenthal in Wien. Wiesenthal in Vienna setzt sich nicht nur zum Ziel, wie der Titel vermuten lässt, die Verbindungen zwischen Wiesenthal und Wien darzustellen, sondern auch ein Portrait einer herausragenden Persönlichkeit zu liefern. Demzufolge werden in den Beiträgen Wiesenthals Prinzipien, Arbeitstechniken und politische Ansichten nachgezeichnet.
Danielle Speras Text „Simon Wiesenthal. Eine Erscheinung. Simon Wiesenthal. A Phenomenon“ fungiert als Einführung in den gesamten Katalog. Im Zentrum stehen die Intentionen, die der Ausstellung und dem Katalog zugrunde liegen. Die weiteren Textbeiträge greifen spezifische Themenbereiche auf: Wiesenthals Selbstverständnis, seine Beziehungen zur österreichischen (Wahl-)Heimat, sein Wirken zwischen Gemeinde- und Weltpolitik, das Dokumentationszentrum als Institution und Bühne, das Mahnmal für die österreichischen jüdischen Opfer der Schoa am Wiener Judenplatz und ein Projekt der in der Simon-Wiesenthal-Gasse gelegenen Zwi Perez Chajes Schule. Zwei Kapitel beschäftigen sich mit Wiesenthals Arbeitstechniken und Recherchen.
Darüber hinaus weist der Ausstellungskatalog ein besonders ergiebiges Kapitel über die Konzeption und gestalterische Dimension der Ausstellung „Wiesenthal in Wien“ im Jüdischen Museum am Judenplatz auf. Hier werden unter anderem Lösungen für die gleichrangige Präsentation von Schriftstücken und Videomaterial von Bernhard Denkinger vorgestellt. Zudem wird der gesamte Umfang und Aufbau der temporären Ausstellung umrissen.
Vor dem Hintergrund der bis heute anhaltenden Debatten um die Errichtung von Denkmälern und Erinnerungszeichen mit Bezug zur Gewalt des Nationalsozialismus, beispielsweise um das im Vorjahr errichtete Denkmal für die Verfolgten der NS-Militärjustiz am Ballhausplatz, ist das Kapitel über das Mahnmal für die österreichischen jüdischen Opfer der Schoa am Wiener Judenplatz von besonderem Wert. Alfred Hrdlickas Mahnmal gegen Krieg und Faschismus am Wiener Albertinaplatz lehnte Wiesenthal vehement ab und forderte ein eigenständiges Denkmal für die jüdischen Opfer des Naziregimes. Die Zusammenarbeit mit der Stadt Wien, so Astrid Peterle, sei für ihn dabei unabdingbar gewesen, denn „[d]as Denkmal könne, so Wiesenthal, kein jüdisches Denkmal, es müsse ein österreichisches sein: ‚Schließlich haben sich die Juden ja nicht selbst umgebracht.’“ (S. 105) Dieses Kapitel leistet einen Beitrag zu Wiesenthals Verhältnis zur Kommunalpolitik.
Seine konfliktreiche Beziehung zur österreichischen Bundespolitik stellt das Kapitel „Simon Wiesenthal. Eine Opposition. Zwischen Gemeinde- und Weltpolitik. Simon Wiesenthal – an opposition. Community and international politics“ knapp dar. Werner Hanak-Lettner skizziert die „bittere und irrationale Auseinandersetzung” zwischen Bundeskanzler Bruno Kreisky und Wiesenthal sowie die Empörung rund um Wiesenthals „zurückhaltende und späte Reaktion” (S. 77) auf die Wahl Kurt Waldheims. Auch die internationale Ikone Wiesenthal konnte sich der „das Land stark prägende[n] Parteienlandschaft“ (ebd.) nicht entziehen, so Hanak-Lettners Fazit.
Die umfassende Fotodokumentation verdankt der Katalog dem Simon Wiesenthal Archiv in seinem ehemaligen Büro. Hier steht ein großer Metallschrank mit vielen Karteihängemappen, in dem sich die gesammelten Fotos aus seinem 96-jährigen Leben finden. Die Fotografien wurden, wo möglich, anlehnend an die besprochenen Themen arrangiert. Zwei Kapitel haben die Fotografien selbst zum Inhalt: Wiesenthal in Wien. Wiesenthal in Vienna (S. 38-60) und „Wiesenthal weltweit. Wiesenthal worldwide“ (S. 78-96). Die Fotografien in den Kapiteln sind grob chronologisch geordnet und sollen die unterschiedlichen Facetten von Wiesenthals Leben illustrieren. Die Wiener Fotos zeigen ihn beispielsweise beim Heurigen gemeinsam mit Bundeskanzler Alfons Gorbach (1964), als Demonstrant mit Megafon (1979), als Privatmensch mit seiner Frau Cyla und seiner Tochter Paulinka (1986) sowie als Mitglied der jüdischen Gemeinde mit Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg (1991).
Das internationale Fotokapitel ist prominent besetzt und verdeutlicht das unermüdliche politische Wirken Wiesenthals, unter anderem als Vortragender bei einer UN-Generalversammlung (1995) oder als Mitglied der österreichischen Delegation beim Staatsbesuch in Israel gemeinsam mit Bundespräsidenten Thomas Klestil und Bundesminister Alois Mock (1994).
Wiesenthal ist Gegenstand zahlreicher Publikationen, zehn Jahre nach seinem Tod erinnert nun das Jüdische Museum Wien an den bedeutenden „Mahner und Aufklärer über den Holocaust“ (S. 114). Wiesenthal in Wien. Wiesenthal in Vienna vermittelt dank der Darstellung unterschiedlicher Lebensbereiche Wiesenthals ein vielschichtiges und aufgrund der Fotodokumentation sowie der Archivmaterialien unmittelbares Bild. Diese Konzeption macht die Lektüre höchst kurzweilig. Als Manko kann der Verzicht auf ein Namens- und Schlagwortregister angeführt werden. Der Ausstellungskatalog liefert ein Portrait Wiesenthals und illustriert sein Leben und Wirken in der Zweiten Republik und der Bundeshauptstadt, womit zugleich auch die Geschichte jüdischer Überlebender in Österreich skizziert wird.