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Wie’s halt so kommt

Paul Flora

// Rezension von Janko Ferk

Erinnerungen aufgezeichnet von Felizitas von Schönborn.

Der Rabenvater mit dem großen Herzen.
Jeder Mensch hat seine eigene Vorstellung vom höchsten Wesen, Marion Gräfin Dönhoff eine besondere. Die Gräfin meinte einmal über Paul Flora, er wirke „nie böse aggressiv, immer liebevoll spöttisch“ und er stehe „immer augenzwinkernd und ein wenig amüsiert außerhalb – so ein bißchen wie der liebe Gott.“

Eine andere Gräfin, Felizitas von Schönborn, hat nach Gesprächen mit dem berühmten Zeichner zu seinem 85. Geburtstag eine Biographie „aufgeschrieben“, die im Jahr 2007 zum ersten und zum 100. Geburtstag im Vorjahr zum zweiten Mal erschienen ist. Dazwischen ist Paul Flora im Jahr 2009 in Innsbruck gestorben und in seinem Heimatort Glurns begraben worden.

Aus den „Erinnerungen“ blickt nicht nur ein weiser Mann heraus, sondern ebenso ein tiefgründiger Schalk und ungewöhnlicher Zeitgenosse, nämlich der Herrscher über ein phantastisches, mit Feder und Tusche geschaffenes Reich, in dem sich düstere Bösewichte, lächerliche Tyrannen, scheinheilige Kirchenmänner, herrschsüchtige Damen, Harlekine, venezianische Masken, alternde Dichterfürsten an der Hand von Musen und viele, viele Raben tummeln, „Menschen und andere Tiere“, die sich mit feinen und von sanfter Tücke gelenkten Strichen in „Floras Fauna“ stellen lassen.

Der Rabe ist zu Floras Wappentier geworden, was bald einer weiß. Vieles andere erfährt man aus dieser Biographie, deren Titel ein typischer Spruch des Meisters war, wenn er ins Erzählen geraten ist: Wie’s halt so kommt. Beispielsweise wird man lesen, dass der Innsbrucker Alpenzoo einmal ein Rabenpaar erworben und dann Namen für Männchen und Weibchen gesucht hat. Fünfundneunzig Prozent aller Stimmen – der ORF Tirol hatte zu einer Abstimmung aufgerufen – lauteten auf Paul für den Raben und Flora für seine Artgenossin.

Die wichtigsten Daten aus der Schönborn’schen Biographie über diesen „Rabenvater“ sind schnell aufgezählt: Am Peter-und-Paul-Tag im Jahr 1922 in eine Südtiroler Ärztefamilie geboren, übersiedelte er im Alter von fünf Jahren aus Glurns, der kleinsten Stadt Italiens, nach Innsbruck, das für immer seine Heimat werden sollte. Paul Peter Flora war in zweiter Ehe – nach dem Tod seiner ersten Ehefrau Trude – mit Ursula Flora-Ganahl verheiratet, Vater dreier Kinder, mehrfacher Großvater, und es war ihm lieb, „wenn Gesellschaften aus nicht mehr als sechs Personen bestehen“. (Ich habe mich des Öfteren darüber freuen dürfen, eine der sechs Personen gewesen zu sein.)

Große Pläne habe er, wie seine ehrgeizigen Weggenossen, nie geschmiedet: „Ich habe mich nie um etwas bemüht und doch ist mir fast alles gelungen.“ In seiner „Zeichnerei“, wie er seine Werkstatt genannt hat, wo gutes Zeichenpapier, filigrane Stahlfedern, Bleistifte der Härte zwei und Farbstifte warteten, sei er aber täglich anzutreffen gewesen, zumal Transpiration entscheidender sei als Inspiration. Trotzdem meinte er, bliebe er lieber bürgerlich, wenn Arbeit tatsächlich adeln sollte.

Erste und nachhaltige Berühmtheit erlangte er durch seine vierzehnjährige Mitarbeit bei der „Zeit“, für die er zwischen 1957 und 1971 dreitausendfünfhundert Karikaturen zeichnete, wofür ihm das Große Deutsche Bundesverdienstkreuz verliehen wurde, das nicht die einzige Auszeichnung blieb. Flora war Ehrenlokführer der Zillertalbahn, österreichischer Professor, zweifacher Ehrenbürger und noch viel mehr.

Die Biographie liest sich wie ein lebendiges Panoptikum der österreichischen Kultur- und Zeitgeschichte, gezeichnet mit feinsten und leicht stichelnden Flora-Strichen. Es entsteht der Eindruck, er sei mit Riesen befreundet gewesen. Die Feinde werden wohlweislich ausgespart; es kann aber durchaus sein, dass dieser Mensch keine hatte, da ihm „Selbstschutzanlagen der unsicheren Talente, Neid und Ressentiment“, gänzlich fehlten, was das Zusammenleben von Künstlern wesentlich erleichtert.

Wie’s halt so kommt, treten der Reihe nach Alfred Kubin, Oskar Werner, Ludwig von Ficker, Thomas Bernhard, Herbert Rosendorfer und Ingeborg Bachmann auf, später Claus Gatterer, Arthur Koestler, Fritz Wotruba, Oswald Oberhuber, Gregor von Rezzori, Wolfgang Hildesheimer, natürlich der Diogenes-Verleger Daniel Keel, dessen „dienstältester Autor“ er war, und Loriot. Nicht zu vergessen Milan Dubrovic, Oskar Kokoschka, Friedrich Dürrenmatt, Friedrich Torberg und die „Wildsau von Meran“. Und mit Kurt Moldovan hat ihn überhaupt „eine lange und ungetrübte Freundschaft“ verbunden. Ein besonderer Freund war Wolfgang von Pfaundler.

Es gehen einem in den Anekdoten und „Tatsachenberichten“ dennoch einige ganz besondere Freunde ab, Leonhard Paulmichl zum Beispiel, um nur eine große Persönlichkeit zu nennen, was wohl darin begründet ist, dass die Zeit ab den Neunzigerjahren weniger dicht erzählt wird.

Einiges berichtete Paul Flora über die Kriegszeit, die er als Soldat erst ab Februar 1944 miterleben musste, „als der totale Krieg auch auf mich angewiesen“ war. Seine „martialische Epik“ ist eher amüsiert denn traumatisiert, hat er doch den ganzen Krieg lang lediglich eine wild gewordene Kuh erschießen müssen und sonst kein Lebewesen, „ohne je einen Feind belästigt zu haben oder von ihm belästigt worden zu sein.“

Nach dem Krieg war er kurz Beamter der Tiroler Landesregierung, und zwar im „Büro für Nichtzuständigkeiten“, sonst immer wieder Mitglied von Gremien zur Kollegenprämierung, in denen er gesehen habe, wie man auf dem österreichischen Weg zu einem Stipendium oder Preis komme. Besonders peinlich sei es gewesen, wenn die Ehefrau eines Jurymitglieds mit Barem geehrt werde. (Kommt auch heute vor. Und ist nicht weniger peinlich.)

Paul Flora, der tiefverwurzelte Tiroler mit großer Liebe zur Landschaft Südtirols, war Bilderschriftsteller sowie Dichter, und sagte in seiner bescheidenen Art über sich: „Ich bin kein großer Denker, ich habe nur einen guten Instinkt, das ist alles.“ Und er hatte ein großes Herz.

Paul Flora Wie’s halt so kommt
Gespräche.
Mit drei SW-Bildteilen.
Zürich: Diogenes, 2022.
312 S.; brosch.
ISBN 978-3-257-24651-3.

Rezension vom 18.02.2023

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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