#Roman
#Debüt

Wie im Wald

Elisabeth Klar

// Rezension von Walter Wagner

„Ja, ganz ohne Umschweife habe ich Ja gesagt, zu allem und Ja zu ihrer Frage, ob ich wieder bei ihr wohnen wolle“, denkt Lisa, nachdem sie Karins Angebot angenommen hat, in das Haus ihrer ehemaligen Pflegefamilie zurückzukehren, wo sie zuvor sieben Jahre zubrachte. Die Eltern sind inzwischen verstorben, die Geschwister ausgezogen.

Peter lebt in Salzburg, Grete in London, Karin in Wien, das sie nach ihrem Übersetzerstudium verlässt, um gemeinsam mit ihrem Freund Alexander und Lisa in das leere Elternhaus am Waldrand einzuziehen. Trotz aller Bemühungen, ihrer Hausgenossin ein Gefühl der Geborgenheit zu vermitteln, wird die Geduld des Paars schon bald auf eine harte Probe gestellt. Das einstige Pflegekind erbricht Speisen, macht in die Hose oder leert in Tobsuchtsanfällen die Schränke. Alexander versucht zwar, zu vermitteln und besänftigend auf das seltsame Verhalten der Mitbewohnerin einzuwirken, wird aber durch ihre unkontrollierten Ausbrüche immer wieder vor den Kopf gestoßen. Während Peter und Grete nicht verstehen, weshalb sich Karin die als schwierig geltende Pflegeschwester aufgehalst hat, hält Alexander zunächst noch zu seiner Freundin, die mehr und mehr durch die Betreuung von Lisa in Anspruch genommen wird. Allmählich entdecken die beiden Frauen ihre frühere Vertrautheit wieder und durchleben noch einmal die traumatisierenden Ereignisse, die sich seinerzeit unter diesem Dach zutrugen. Die Erinnerung an sexuellen Missbrauch und den rätselhaften Tod des Vaters belastet Karin und Lisa, denen es nicht gelingt, sich aus den familiären Verstrickungen zu befreien. Schließlich räumt Alexander das Feld und überlässt das Haus am Waldrand samt seinen Bewohnern seiner dunklen Geschichte.

Elisabeth Klars Erstlingsroman entwirft das verstörende Porträt einer unauffälligen Familie, die durch die Aufnahme eines Pflegekindes, das der gleichaltrigen Karin als Spielgefährtin dienen sollte, aus der Balance gerät. Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive von Karin und Lisa, die im Zuge ihrer Wiederbegegnung eine Reise in die eigene Vergangenheit antreten. In häufigen Rückblenden suchen sich die weiblichen Erzählerstimmen über verdrängt geglaubte Vorfälle und ihre jeweiligen Folgen klar zu werden. Dabei wird die problematische Rolle des Vaters, der mit Karin um Lisas Zuneigung wetteiferte, ans Licht gezerrt. Im Kontext familiärer Beziehungen entpuppt sich Liebe mithin als prekäre Gratwanderung zwischen sinnlicher und emotionaler Nähe, die keinen Platz für Schönfärberei lässt: „Wie der Vater, so wohl auch die Tochter. Will ich an Lisas Stelle sein, will ich an Papas Stelle sein? Ihre Hose war offen, meine Hand war in ihrer Hose.“

Geschickt bedient sich die Autorin ihrer beiden Protagonistinnen, denen sie in dialogischen Passagen, die mit inneren Monologen wechseln, die Ergründung der ‚Wahrheit‘ anheimstellt. Nach und nach wird so das Geheimnis gelüftet, das Lisa und Karin aneinanderbindet und die übrigen Familienmitglieder ausschließt. Dank seiner ausgeklügelten Konstruktion fungiert der wie von routinierter Hand geschriebene Roman als tabuloses Instrument der Fremderfahrung, das uns beklemmende Einblicke in die Gefühls- und Gedankenwelt der Figuren gewährt und namentlich Lisas unverständliche Reaktionen im Lauf der sich langsam entfaltenden Handlung als folgerichtig erscheinen lässt. Je länger die drei Figuren zusammenleben, desto gravierender wirkt sich der Umstand aus, dass sich der Vater seinerzeit an Lisa verging, selbst wenn er dies im Nachhinein bedauerte. Vor diesem Hintergrund wird auch Alexanders fürsorgliche Zuwendung verdächtig und gemahnt den Leser daran, dass das stille Haus mit seinem Schwimmteich in Wahrheit ein von Dämonen beherrschter Kerker ist, aus dem es kein Entrinnen gibt.

Klars erste längere Prosa zeugt von einem beachtlichen Talent, das sich sowohl in der komplexen Erzähltechnik als auch in der feinen psychologischen Zeichnung der Figuren manifestiert. Die erst 28 Jahre junge Autorin legt mit Wie im Wald ein erstaunlich reifes Stück Literatur vor, das noch Größeres erwarten lässt: ein grandioser Anfang also, eine Bereicherung der österreichischen Literaturlandschaft, die sich gerade durch ihre Freude am Abgründigen auszeichnet.

Elisabeth Klar Wie im Wald
Roman.
St. Pölten, Salzburg, Wien: Residenz, 2014.
272 S.; geb.
ISBN 978-3-7017-1636-4.

Rezension vom 15.09.2014

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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