#Comic

Wie ich versuchte ein guter Mensch zu sein

Ulli Lust

// Rezension von Ilse Kilic

Das Cover des neuen Comics von Ulli Lust wird dominiert von einer fast ganz schwarzen Katze (nur die Schwanzspitze leuchtet weiß), und, ja, es steht durchaus in innerer Verwandtschaft zum Cover des ersten Teils ihrer grafischen Autobiografie: aufmerksame Augen in beiden Fällen, ein vielleicht skeptischer Blick, diesmal eben von einer Katze, die im Comic zwar nicht die Hauptrolle spielt, aber Einfluss auf den Fortgang der Handlung haben wird.

Ulli Lust hat nach ihrem ersten und sehr umfangreichen autobiografischen Comic mit dem Titel „Heute ist der erste Tag vom Rest deines Lebens“ (avant-verlag 2009) einen Abstecher in ein anderes Genre gemacht und Marcel Beyers Text „Flughunde“ zu einer Graphic Novel verarbeitet – ein spannendes und überaus geglücktes Unterfangen. Umso neugieriger war ich auf den zweiten Teil ihres autobiografischen Werkes, ein Comic mit dem vielsagenden Titel: „Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein“.
Und, in der Tat, ich wurde nicht enttäuscht.
Die Zeichnungen, diesmal in schwarz, weiß und rosa sind expressiv, wild, direkt, zwischendurch oft unterbrochen von einer „Ruhe-Seite“, einem ganzseitigen Bild, quasi einem Atemholen, einer Unterbrechung der schnellen und im Verlauf durchaus bedrückenden Erzählung. Diese ganzseitigen Bilder zeigen nicht immer, aber immer wieder eine „Naturdarstellung“ aus dem ländlichen Leben der Eltern, wo der kleine Sohn der Ich-Erzählerin aufwächst. Es gibt aber auch Stadtbilder, zum Beispiel eine verschneite und einsame Szene mit Fahrrad und Bushaltestelle. Hervorzuheben sind die Zeichnungen sexueller Begegnungen, die, ob ganzseitig oder nicht, glaubhaft vermitteln, dass Sex mehr als vergnüglich ist, insbesondere wenn alles gut läuft und die beteiligten Menschen sich daran erfreuen. „Mir war es wichtig, Sexualität im Comic aus weiblicher Perspektive zu schildern – das passiert nämlich viel zu selten.“, sagt Ulli Lust in einem Interview in der taz (12.09.2017). Und ja, das ist richtig: Das passiert viel zu selten.

Erzählt wird die Geschichte der Mittzwanzigerin Ulli, die als Erzählerin und Hauptfigur sowie als Autorin und Zeichnerin auftritt. Die Geschichte beginnt mit einer Beziehung, in der Sex nicht (mehr) so recht funktionieren will. Einerseits ist das so genannte Begehren des männlichen Partners Georg ziemlich geschwunden, andererseits empfindet Ulli dessen Körperlichkeit als, nun, ihren sexuellen Wünschen und Vorstellungen nicht entsprechend. So kommt es zu einer Beziehung zu einem zweiten Mann namens Kim, einem jungen Migranten aus Nigeria, der allerdings die Existenz und Wichtigkeit von Georg nicht akzeptieren will. Manchmal will man in diesem Zusammenhang allerdings Ulli schon fragen, ob ihr die Erinnerung oder die Wahrnehmung einen Streich spielte, oder man will ihr zurufen, dass die Größe des männlichen Penis wenig als Indikator für guten Sex taugt, aber okay: Wenns aber doch so war, dann wars doch wahrlich so? Oder etwa nicht?
Ich will auch nicht abstreiten, dass mir die Darstellung des nigerianischen Mannes mit großem Penis, der fast das Präservativ nicht überstreifen kann, ein bisschen zu sehr an ein Klischee rührt, dem ich eigentlich lieber nicht begegne. Andererseits: Wenns aber doch so wahr war, dann wars doch so? Oder etwa nicht?
Schließlich ist Autobiografie immer ein Stück Finden und Erfinden von Versionen der eigenen Lebensgeschichte, ein Balancieren zwischen Fakten und deren Wahrnehmung sowie auch das Ernstnehmen der Subjektivität als innerer Wahrheit.

Im Interview in der oben genannten taz vom 12.09.2017 beschreibt die Autorin auch ihre Zweifel hinsichtlich der Darstellung eines Migranten, der – ich zitiere – „einen Fehler macht.“ Nunja, das was Kim macht, ist deutlich mehr als „ein Fehler“ und die Geschichte wird dramatisch, bedrückend und bedrohlich. Ob der Grund für die zunehmende Eskalation der Gewalt die Heirat ist, mit der Ulli Kim zu einer Aufenthaltserlaubnis verhelfen will, oder ob dieser letztlich einfach die Dreiersituation nicht ertragen kann, bleibt offen. Hm, ist es eigentlich eine Dreierbeziehung? Streng genommen wohl nicht, denn unter einer Beziehung versteht man die Präsenz sexueller Begegnungen, welche es aber für Ulli nur mit Kim gibt. Es ist ihr aber wichtig, aus Georg nicht „einfach“ einen guten Freund zu machen, sondern ihm einen besonderen Status zu verleihen, nämlich „Beziehungspartner“. Ob die Eifersucht und die daraus folgende Gewalt ein Problem ist, das Migranten schon, österreichische Männer aber nicht haben, sei dahingestellt, klar ist jedenfalls, dass Kim auch definitiv inakzeptable Vorstellungen hat, was das „erwünschte“ Verhalten von Männern und Frauen betrifft, Vorstellungen, von denen er sich genausowenig lösen will wie er nicht gegen die in Nigeria verbreitete Gewalttat der weiblichen Beschneidung Position bezieht. Die Asymmetrie der Beziehung trägt das ihre dazu bei, dass Ulli trotz bedrohlicher Angriffe auf ihre Person, das Aufbrechen ihrer Wohnung etwa, lange zögert, Kim anzuzeigen und die Anzeige dann sogar wieder zurückzieht.
Auf den letzten Seiten erfahren wir, dass Kim nach London gezogen ist und dort als Krankenpfleger arbeitet, dass Ulli ein Studium in Berlin beginnt und dass Georg eine neue Beziehung findet, in der für Ulli kein Platz ist, weil die Partnerin keine Dreierbeziehung möchte. Fast ein Happy End also, von dem man hofft, dass es aus der real existierenden Wirklichkeit stammt.

Ulli Lust Wie ich versuchte ein guter Mensch zu sein
Comic.
Berlin: Suhrkamp, 2017.
368 S.; brosch.
ISBN 978-3-518-46813-5.

Rezension vom 18.09.2017

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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