#Prosa
#Debüt

Westbahn

Walter Wagner

// Rezension von Peter Landerl

86 Mikroerzählungen umfaßt Westbahn, der erste Prosaband des Oberösterreichers Walter Wagner. Darin ist von einem spazierenden, auf Distanz bedachten Paar die Rede, von einem Bergbauern, der den Tod seiner Ehefrau nicht verwinden kann und sich umbringt, von einer unheimlichen Begegnung mit einer tschechischen Lyrikerin. Von Montaigne wird erzählt, von einer Andalusierin im Schneesturm und von einem Radfahrer, der stürzt und gerettet wird – man könnte die Aufzählungen beliebig fortsetzen.

Wenn man von allem erzählt, besteht die Gefahr, daß man sich im Nichts verliert. So divergent die Sujets der Erzählungen von Wagner sind, so wird doch in allen Skizzen ein Thema verhandelt: der mißbrauchte, gefährliche Begriff Heimat. Für Wagner ist Heimat keine konkrete Vorstellung, nichts Verortbares, Festes, Eindeutiges. Das Konstrukt Heimat ist nur umreißbar in seiner Veränderung und Bewegung, seinen positiven wie negativen Ausformungen. Es tritt bei Wagner entschlackt auf, befreit von seinen konservativ-volksdümmlichen Konnotationen.

Heimat ist ein zu komplexes Phänomen, um es in einer Erzählung, einem Roman zu thematisieren: Wagner braucht 86 Anläufe dazu: Kein Versuch allein vermag zu erklären, was Heimat bedeutet, aber alle zusammen geben einen facettenreichen Eindruck. Wagner greift Motive auf, läßt sie wieder fallen, kramt in seinen Erinnerungen, meditiert, erzählt von skurrilen Begegnungen, er transformiert und plaudert. Das Buch vermittelt den Eindruck des Losen, öffnet dem Leser Raum für Reflexion und fordert das permanente Überdenken der Standpunkte – ein bequemes Vergewissern wird nicht zugelassen.

Ein Ich, ein Er, eine Sie tummeln sich in den Erzählungen, alle Figuren bleiben ungreifbar, namenlos – eine fixe Erzählperspektive gibt es nicht: Das Changieren als Prinzip.

Am besten gelungen ist das Buch dort, wo Wagner sich der Anschauung des Alltags, der Beobachtung hingibt. Seine skurrilen Skizzen dagegen wirken zuweilen ein wenig konstruiert und aufgesetzt.

Heimat ist für ihn vor allem Oberösterreich, der Westbahn entlang, die die Enge der Heimat beatmet. Ihre Gleise hat die verstopften Bronchien befreit. Die Städte und Dörfer, die Wagner auf seiner Reise markiert, sind zumeist keine privilegierten touristischen Perlen. Von ihnen kann man keine Ansichtskarten kaufen, weil es keine gibt. Es sind Orte, an denen es wenig gibt, auf das man stolz sein, dessen man sich rühmen könnte, wo es eher kalt und feucht und grau ist – ungeschmückt, dafür aber authentisch. Wagner zeichnet eine Gegend, die nur von wenigen begehrt wird. Das ist nicht negativ zu sehen, ist doch deshalb die Gefahr geringer, daß einem die Heimat weggenommen, daß das Vertraute im Kitsch und Tourismus versinkt und zur Unkenntlichkeit entstellt wird.

Westbahn.
Skizzen.
Wels: Edition Pangloss, 2001.
137 Seiten, gebunden.
ISBN 3-901132-21-X.

Rezension vom 08.10.2001

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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