#Roman
#Debüt

Wer mit Hunden schläft

Harald Darer

// Rezension von Gerald Lind

Anti-Heimatliteratur revisited: Harald Darer belebt mit seinem großteils auf dem steirischen Land spielenden Debütroman Wer mit Hunden schläft ein tot geglaubtes Genre.

Dabei breitet er das gesamte Themenspektrum dieser sich an ruraler Herkunft und Sozialisation abarbeitenden Texte aus: Scheinheiligkeit und katholische Bösartigkeit, Arbeitssklaverei und utilitaristische Lebensweise, Gewalt und Alkoholismus, Patriarchalismus und Xenophobie, fundamentalistischer Traditionalismus und versteckter Faschismus, vordergründige Unterwürfigkeit bei insgesheimer Antipathie gegenüber Städtern. Die Lieblingssprüche des Leitenbauers, Herr über die „Leitenbauerischen“ (11) und somit auch über die Hauptfigur Norbert, können exemplarisch für das beschriebene Milieu stehen: „Mach dich zu etwas nütz“ (23) und „Da kannst du ja gleich einen Neger in einen Steireranzug stecken.“ (50)

Der seinem Hund Kreisky und gleichzeitig einem Lebensberater sein Leben erzählende Herr Norbert hat hingegen einen anderen Lieblingsspruch: „Geht doch alle scheißen“ (14). Denn Norbert und seine Mutter, die „Leitenbauerdirn mit ihrem unehelichen Bankert“ (10), sind an den Rand der bäuerlichen Gesellschaft gedrängte Figuren. Während nun aber die Mutter sich diesem Umstand mit in Großdruck gebrachten Sinnsprüchen ergibt – „WER MIT HUNDEN SCHLÄFT, WACHT MIT FLÖHEN AUF“ (159) –, entwickelt Norbert einen ungeheuren Hass, vor allem auf alles Ländliche. Diese figurenpsychologisch plausible Haltung bringt nun Übertreibungen und Zuspitzungen mit sich, ausgewogene Differenzierungen sind nicht die Sache des Herrn Norbert: „Der Pfarrer, unser Geistlicher, wie er sich selbst nannte, war immer der falscheste Hund, Kreisky.“ (19)

Besonders bemerkenswert an „Wer mit Hunden schläft“ ist der von Harald Darer ge-/erfundene Ton, der Erzählweisen klassischer Anti-Heimatliteratur mit Stilelementen anderer Genres verbindet. Der Text liest sich nämlich, als hätten Franz Innerhofer und Gernot Wolfgruber den Stoff entwickelt, Reinhard P. Gruber und Wolf Haas ihn niedergeschrieben – und als hätte Thomas Bernhard das Lektorat bestellt. Nachteil dieser wilden eklektischen Mischung ist, dass man das Gefühl hat, alles irgendwann schon einmal gelesen zu haben. Das geht manchmal bis in Details, wie die exzessiv monologisierende Erzählsituation mit der ständigen Hunde-Anrede („haben sie gesagt, Kreisky“, 200), die sehr nach jener in Bernhards „Auslöschung“ modelliert zu sein scheint, in der Franz-Josef Murau permanent seinen Schüler Gambetti anspricht. Dennoch kann man bei Darer nicht von Epigonentum sprechen. Epigonentum ist unkreatives Kopieren, bedeutet abgeschmackte Nicht-Originalität. Das Vergnügen beim Lesen von „Wer mit Hunden schläft“ entsteht aber gerade durch die Kreativität und Originalität, mit der Darer diese alten Zutaten neu mischt. Wie er dabei den einmal gefundenen Ton das ganze Buch hindurch trifft, ist schlicht und ergreifend großartig.

Nur bei näherer und vielleicht spitzfindiger Betrachtung dieses Sounds fallen einem zwei weniger stimmige Aspekte auf: Es wird stilistisch nicht unterschieden, ob in einer Passage Norbert spricht oder ob sie vom Erzähler stammt, der die Sicht Norberts einnimmt. Mit Ausnahme der Gänsefüßchen in der direkten Rede natürlich. Und die einmal eingenommene Erzählhaltung mit ihrer eher kindlichen Sichtweise erfährt mit dem Älterwerden des Helden keine Entwicklung, auch perspektivisch nicht. Doch das könnte man so erklären, dass der Charakter des Herrn Norbert sich nicht weiterentwicklelt und in einer infantilen Grundhaltung stecken bleibt, die sich unter anderem in einer veritablen Sexualneurose ausdrückt, welche am Ende des Buches zur Katastrophe führt.

Abgesehen von diesen Geschmacks- und Interpretationsfragen gibt es nur einen störenden Lektoratsfehler zu berkritteln, der die gefinkelte Erzählkonstruktion des Romans kurzfristig außer Kraft setzt: Ein Leitenbauerbub begeht Selbstmord, als Norbert bereits „seinen ersten Dienst als Straßenbahnfahrer in Wien hinter sich“ hat. Die Leserin/Der Leser erfährt dazu: „WER ANDEREN EINE GRUBE GRÄBT et cetera, hat die Mutter gesagt, als sie davon hörte.“ (54) Dabei ist für die Entwicklung Norberts besonders entscheidend, dass die Mutter früh unter tragischen Umständen stirbt und er daraufhin vom hierfür mitverantwortlichen Dorfpfarrer einen Brief bekommt, der „den zehnjährigen Norbert über den Tod seiner Mutter“ (19) informiert.

Sollte es für Harald Darers Wer mit Hunden schläft eine zweite Auflage geben – und das ist diesem Buch sehr zu wünschen –, kann dieser Fehler leicht behoben und damit nur noch von den Vorzügen dieses Textes gesprochen werden. Denn dieser Roman ist keine Sekunde langweilig, hat skurrile Höhepunkte (im doppelten Sinn) wie den Geschlechtsverkehr zwischen dem Leitenbauern und der Leitenbauerdirn und dessen fast letalen Ausgang, ist fein auf ein Ende hin komponiert, das auch der Figur des Herrn Norbert noch mehr Tiefe (auch im doppelten Sinn) zu geben vermag und macht einfach Spaß beim Lesen, ohne auch nur an einer Stelle auf vordergründigen Witz statt hintergründigen Humor zu setzen. Ein sehr überzeugendes Debüt, das man nicht verpassen sollte.

Harald Darer Wer mit Hunden schläft
Roman.
Wien: Picus, 2013.
224 S.; geb.
ISBN 978-3-85452-693-3.

Rezension vom 26.02.2013

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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