#Prosa

Wenn Rot Kommt

Petra Piuk

// Rezension von Julius Handl

Drogen, Glücksspiel und Las Vegas mitten im Jahr der Pandemie. Themenverfehlung ist das keine, denn wir befinden uns im Sprache gewordenen Horrortrip unserer Gegenwart. Selten wurde die Auflösung aller Gewissheit sprachlich so frisch zu Papier gebracht wie im Band Wenn Rot kommt.

Aller Anfang ist schön, vor allem in der Liebe. Lisa und Tom sind verliebt und gut drauf in Las Vegas. Die Doppeldeutigkeit: Immer glücklich, dank der Drogen. Von Anfang an mit dabei. Wo genau dieser Anfang des Pärchens eigentlich ist, wissen wir nicht, eine Zeit vor Las Vegas wird im Buch nicht umrissen. Mit der ersten Seite tauchen wir ein in Petra Piuks wilde Komposition aus Erinnerungsschnipseln, da ist Tom bereits weg, verschwunden. Im Buch wird das dann auch zu Lisas großer Aufgabe: Tom finden. Dies ist der überraschend gewöhnliche Plot, der uns hilft, nicht die Übersicht zu verlieren. Wir beobachten Lisa dabei, wie sie durch die Stadt irrt und/oder sich erinnert, gerne auch mithilfe der Videos auf ihrem Smartphone. Deshalb taucht Tom ständig auf und wieder ab, als Teil ihrer Erinnerung. Er wird zur geisterhaften Erscheinung, das flirrende Las Vegas zum Spukhaus. Clowns beginnen Lisa einzuflüstern, die sich gegen Ende zusehends zwischen Rausch und Erinnerung verliert. Episodenhaft tritt das gemeinsam Erlebte zwischen Lisa und ihre Suche, die Realität ist zerfallen, einen roten Faden gibt es nicht. Wir lernen, dass Lisa mit großer Lust die gemeinsame Entgrenzung verfolgt hat, immer die Grenze des körperlich und geistig Erträglichen austestend. Wo wird das Spiel zum Ernst? Erstmal egal, bloß nicht nüchtern werden. In so einem zünftigen Rausch kann es dann auch schon mal vorkommen, dass man unzurechnungsfähig wird. Dass man vergisst darauf zu achten, wie es dem Liebsten so geht. Oder nicht weiß, wo er ist. Lisa irrt zunehmend in dem Gefühl herum, was dummes getan zu haben. Wenn ihr ausgelaugter Körper das überhaupt noch wirklich vermitteln kann.

Wie passen eigentlich Drogen und eine Glückspielmetropole in dieses verrückte Jahr, könnte eine legitime Frage sein. Ist das etwa ein Reanimationsversuch der hedonistischen Nullerjahre? Falsch, Wenn Rot kommt ist verschachtelt und vielschichtig. Auf seinen Trips begegnet das zugedröhnte Pärchen all jenen Gestalten, die man sich in Nevadas Wüstenstadt erwarten würde. Verlotterte Randfiguren, zerrieben zwischen krassen Gegensätzen, unerträglichem Reichtum und absolutem Nichts, Drogensucht und guter Zeit. Das Glücksspiel ist Dauergast in den kurzen Kapiteln und trägt immer die Hoffnung in sich, aber auch die Gewalt: Es ist Symbol eines amerikanischen Traums, der sich zusehends in sein Gegenteil verkehrt hat. Was bleibt übrig, wenn sich die Gewissheit, es durch harte Arbeit zu schaffen, aufgelöst hat? So wie alle anderen Gewissheiten auch? Man spielt, setzt, siegt meistens nicht. Es ist das Amerika der Gegenwart, das Petra Piuk und Barbara Filips gemeinsam während eines Rechercheaufenthaltes erkundet haben. Filips Fotografien, welche die Geschichte begleiten, halten diesen Limbus fest. Sie sind teilweise doppelbelichtet, oder aus verschiedenen Fotos zusammengefügt, ein ausgeprägter Rotstich verzerrt sie weiter. Auf ihnen wirkt Las Vegas teilweise wie eine muffige Filmkulisse, einer Zeit entnommen, die sich fremd und vergangen anfühlt. Dann wieder wie eine Form der Hyperrealität, wo sich künstlich Entfremdetes und real Gegebenes die Hand reichen. Festgehalten werden immer die Stadt, eigentliche Nebendarstellerin des Buches und ihre Bewohner*nnen. Die Fotos komplementieren Piuks Erzählung ohne ihr zuzuarbeiten, was ein sehr angenehmes Wechselspiel von Text und Bild schafft.

Dieses Wechselspiel ist der eigentliche Kern des Phänomens Wenn Rot Kommt. Das Buch ist ein großartiges formales Gesamtkunstwerk, das die Literatur darin verzerrt wie ein Instagram-Filter. Der Satz erfolgt mal in Großbuchstaben, mal in Rot, unterschiedlichste Fonts wechseln sich in einem bunten Reigen ab. Erzählt wird in der zweiten Person, nur konsequent, da man ja selbst teilnimmt: Noch bevor die Geschichte beginnt, wird man in den „Spielregeln“ unterwiesen, daneben prangt eine Roulette-Grafik. „Lesen Sie den Text nicht unter Einfluss von psychedelischen Drogen.“ Es ist viel drumherum, doch der Hokuspokus lohnt sich, weil Piuks Sprache dem Ganzen standhält. Es gelingt ihr außerordentlich gut, Rausch und Hintergrund festzuhalten, ohne sich dabei in eines zu verlieren. In kleine Schnipsel zersägt, schießt uns Las Vegas temporeich um die Ohren, dabei wird Popvokabular aufgegriffen und gleichzeitig mit Raffinesse und Eleganz erzählt. So viel Sprachspiel ist vielleicht für den einen oder die andere verwirrend, es wird uns Wachheit abverlangt, aber wir wurden in der Spielanleitung vorgewarnt: „Dieser Text eignet sich nicht für einen gemütlichen Leseabend.“

Wenn einmal begonnen, sollte Wenn Rot Kommt nicht mehr zur Seite gelegt und als abendfüllender literarischer Trip betrachtet werden. Es ist ein formal überaus kreatives Buch, dessen Sprache begeistert und berauscht und es tatsächlich schafft, die vielen Experimente zu stemmen, ohne darunter zusammenzubrechen – eine Seltenheit. Darüber hinaus ist es eine Reise in unsere Gegenwart: Obwohl Ort und Thema so weit weg scheinen, fühlt man sich in der eigenen Dauerverwirrung verstanden, ist ratlos, fiebert mit, und fragt sich irgendwann nur noch: Und wo, verdammt nochmal, ist Tom?

Petra Piuk Wenn Rot kommt
Geschichte.
Mit Fotografien von Barbara Filips.
Wien: Kremayr & Scheriau, 2020.
192 S.; geb.
ISBN 978-3-218-01227-0.

Rezension vom 12.10.2020

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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