#Roman

Wenn mein Vater Polnisch spricht

Peter Steiner

// Rezension von Maria Steiner

Der neueste Roman des Niederösterreichers Peter Steiner Wenn mein Vater Polnisch spricht handelt von einer Reise durch die ehemalige Sowjetunion, die der Erzähler – ein österreichischer Geologe (wie übrigens der Autor selbst) – im Spätherbst 1981 unternimmt.
Der Protagonist (der ohne Namen bleibt) fährt mit der transsibirischen Eisenbahn zum internationalen Jahressymposion der Weltvereinigung für Geochemie nach Irkutsk am Baikalsee, wohin er von einem befreundeten russischen Kollegen eingeladen wurde, um dem Kongress den nötigen internationalen Charakter zu verleihen. Zuhause in der österreichischen Kleinstadt, in der der Erzähler aufgewachsen ist und in der er nach jahrelangen berufsbedingten Auslandsaufenthalten wieder lebt, hütet seine Ehefrau die beiden schulpflichtigen Söhne.

Während dieser kleinen Auszeit also, einer beschaulich langsamen Zugfahrt über Warschau nach Moskau, notiert der polyglotte Geologe, was ihm dabei so in den Sinn kommt: Präzise beschreibt er die Städte und Wälder der vorbeiziehende Landschaft, die unterschiedlichen Reaktionen seiner Mitreisenden auf ihn, den allein reisenden Mittvierziger aus dem kapitalistischen Westen. Es sind aber vor allem die Erinnerungen an seinen Vater, die sich dem Erzähler während seiner Reise durch Polen aufdrängen.
Dieser Vater, ein ständig Abwesender, wie viele Väter seiner Generation, verbrachte nahezu den gesamten Zweiten Weltkrieg in Warschau. Nicht als Soldat, was naheliegend wäre, sondern als technischer Leiter des Spielcasinos. Zunächst weiß der Sohn, außer den biographischen Eckdaten, nicht besonders viel über den Vater zu berichten: „Als er das erste Mal nach Warschau reist, ist er gerade einmal einunddreißig Jahre alt, Parteimitglied der NSDAP, kein Soldat, nein, ein für den Wehrdienst Unabkömmlicher. Denn kaum hatte sich das Nazi-Regime in Warschau eingerichtet, wurde ein Casino eröffnet. Wer aber spielte dort Roulette und Baccara? Offiziere des deutschen Generalstabes, Gestapoleute, Lagerkommandaten, Kollaborateure, Kriegsgüterlieferanten? Ich habe Vater nie darüber sprechen gehört.
Es sind zuerst nur Vermutungen, die der Sohn anstellt. So wenig er über das Leben seines Vaters auch weiß, schämt er sich doch für dessen politische Gesinnung. Auch damit ist der 1937 Geborene nicht allein. Er hat auch eine Erklärung für die unleugbare Distanz, die ihn von seinem Vater trennt: „Wir Kriegskinder können unsere Väter beim besten Willen nicht lieben“, heißt es da. Durch die ständige Absenz der Väter hätten sie keine Nestwärme erfahren. In seinem Freundeskreis, so der Erzähler, sei ihm jedenfalls kein einziger Fall einer herzlichen Vater-Sohn-Beziehung bekannt. Sein Vater sei auch nach dem Krieg „nie mehr wirklich nach Hause gekommen, immer ein Kurzbesucher geblieben, eine Art von Hotelgast.“ Nach seiner Rückkehr aus Irkutsk, so nimmt es sich der Erzähler vor, will er den Vater befragen. Doch es kommt anders: Das Gespräch wird aufgeschoben und der Vater stirbt schließlich an einer langwierigen Krebserkrankung, ohne mit dem Sohn je über die Jahre in Polen gesprochen zu haben.

In der Reflexion dieser entfremdeten Vater-Sohn-Beziehung liegt die Stärke von Peter Steiners Roman: Erst viele Jahre nach dem Tod des Vaters wird dem Erzähler klar, dass er ihn auf seinem eigenen Lebensweg sozusagen doch immer im Gepäck hatte. Der gealterte Weltenbummler beginnt sich schließlich sogar mit seinem Vater zu messen: Hätten sich die Frauen im Warschau des Jahres 1941, fragt er sich, seinem Vater nicht ebenso unverhohlen an den Hals geworfen wie ihm, dem Erzähler, vierzig Jahre später? Und er erinnert sich an eine gemeinsame Reise durch Italien, die eine seltsame Fehlleistung seines Vaters zutage brachte: „Jedes Mal, wenn Vater sich einen Satz auf italienisch zurechtgelegt hatte, verwandelte sich dieser beim Sprechen in Polnisch.“ Und wiederum dreißig Jahre nach dieser Begebenheit wird dem Erzähler klar: Sein Vater hatte „beim Versuch, sich eine neue Sprache zu öffnen, am Deckel eines Behälters gedreht, in dem seit vielen Jahren etwas fest verschlossen lag. Der polnische Satz bahnte sich mit Wucht den Weg ins Freie. Vater hatte darüber keine Kontrolle.“

Angesichts der Thematik von Peter Steiners Roman – der Versuch eines Täterkindes, den stets abwesenden Väter zu ergründen, auch dessen unbewussten Anteil an der eigenen Persönlichkeit, am eigenen Werdegang – fühlt man sich während der Lektüre sehr bald an Martin Pollacks Roman „Der Tote im Bunker“ (2004) erinnert. Auch Pollack zog es Zeit seines Lebens an den Ort der Untaten seines Vaters, ohne sich dessen bewusst zu sein: Er studierte in den 1960er Jahren Slawistik in Warschau. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass sich der Erzähler und Martin Pollack gegen Ende des Romans „Wenn mein Vater polnisch spricht“ tatsächlich begegnen: Anlässlich einer Lesung Pollacks im Lemberg wird dem Ich-Erzähler schlagartig klar, dass sich die beiden Väter gekannt haben müssen: Pollaks Vater war maßgeblich an der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes im Sommer 1944 beteiligt. „So einer wie er“ hatte sich sicher, so mutmaßt der Erzähler, „nach der Henkerarbeit des Tages im Casino entspannt“, in welchem der eigene Vater gearbeitet hatte. So sind beide Söhne, ohne es zu wissen, ein Leben lang auf schmerzliche Weise miteinander verbunden: „Unsere Väter sind schon lange tot, wir selbst gehören zu den letzten Zeugen des Krieges, den wir in früher Kindheit erlebten. Unser Mut heißt in Wahrheit Nostalgie, klammert sich an Geschichten, zu denen wir nichts beigetragen haben, und die doch auf unheimliche Weise Teil von uns sind.“ Wer Martin Pollacks Buch mochte, dem wird auch dieser Roman gefallen.

Peter Steiner Wenn mein Vater Polnisch spricht
Roman.
Innsbruck: edition laurin, 2016.
248 S.; geb.
ISBN 978-3-902866-38-7.

Rezension vom 13.02.2016

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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