Mindestens zweien der erzählenden Figuren aus Christoph Strolz‘ Debüt Wenn ich blinzle wird es besser sind Begriffe wie „Pitch“ vertraut, sie arbeiten in, für oder mit Agenturen.
Mindestens eine der ErzählerInnen kommt in ihrem Erwerbsleben nicht mit derlei in Kontakt, sie putzt und richtet Fremdenzimmer. Einer oder eine – das Geschlecht dieser Stimme bleibt in der Schwebe – hat mit wissenschaftlichen Exposés, Anträgen und Projektberichten zu tun. Einer beherrscht das Morsealphabet. Und einen hielten unverkopfte KinogängerInnen für einen Analphabeten: Christoph Strolz jedoch macht den (nicht namentlich benannten) Doof Warrior aus dem Film Mad Max: Fury Road zum fanatischen Tüftler, der das (fiktive) Grundlagenwerk des (realen) Komponisten Cornelius Berkowitz heranzieht, um das ultimative Riff zu stemmen.
Die Grundlagen der Harmonik nach Cornelius Berkowitz, im Zentrum der sieben Erzählungen umfassenden Sammlung platziert, zählt zu den besten Texten des Bandes, dessen Geschichten sonst Ein- und Zweiworttitel tragen. Dieser Titel nun schert aber zweifach aus, denn er benennt zugleich jenes Vademecum, auf das der Icherzähler setzt. Untertags, wenn er sich, mit Seilen an seinem vorgesehenen Platz auf einem Truck des Warboy-Konvois fixiert, per flammenwerfender E-Gitarre verausgabt, wirkt das Druckwerk von der hinteren Hosentasche aus. Nachts am Wüstenlagerfeuer dient die Schrift als Zündstoff für konzeptuelle Höhenflüge. Der Mischpultmann Zank trägt das ein oder andere „Hrrrmm“ bei, tendenziell gestaltet sich die Teambesprechung unter vier Augen durch Treten (in die Leber) und Beißen (ins Gesicht).
Die brachiale Kommunikation steht in Kontrast mit den elaborierten musikalischen Überlegungen, die der Freak anstellt. Diese erscheinen nicht nur begrifflich deplatziert, sondern auch inhaltlich, lautet der basale Auftrag doch „Spiel, du Sau, lauter, lauter, lauter!“ In einer lässigen Geste der Aneignung und mit freundlichem Zwinkern Richtung Fan Fiction macht Christoph Strolz aus der festgeschnallten Galions- eine beflügelte Künstlerfigur und kann in der tragikomischen Zeichnung dieses Helden überzeugen. Der Schluss der im Präsens gehaltenen Erzählung nimmt den Anfang, sachte variiert, wieder auf – die Geschichte verläuft im Sand, ’string-ent‘ und stimmig.
Oben, nicht zuletzt gesellschaftlich, hält sich der Kreative in Sisyphos auf. Der Mode- und Starfotograf, dessen Erfolg ihm „einen Pollock“ an der Wand und „einen atemberaubenden Blick auf Santa Barbara“ eingebracht hat, rekapituliert einen Auftrag, im Verlauf dessen er sich verwandelte: vom souveränen Profi zum Don Quichote im Kampf gegen Gesichtshaut auf Display – die finale, printtaugliche Version der Bilder entzieht sich. Wie im Fall des Extremgitarristen offenbart sich Passion im doppelten Wortsinn – doch während die verweigerte Selbstbegnügung des Musikers ein Aufbegehren darstellt, kippt der Fotograf unmotiviert aus der Routine in den Wahn. So manifestiert sich zwar in beiden Erzählungen naheliegende Kritik an ‚(Selbst)Optimierung‘ und ‚Perfektionierung‘, aber die literarische Kraft der Texte geht darüber hinaus.
Ein sprachlicher Reiz besteht auch hier im Fachvokabular, welches die beiden Icherzähler aus Die Grundlagen der Harmonik nach Cornelius Berkowitz und Sisyphos vollmundig auffächern. Wie ‚glücklich‘ die Titelgebung ist, sei dahingestellt: Gar zu absehbar sind in einem Text, der das Namensschildchen auf der Stirn kleben hat wie im Partyspiel, Wendungen à la: „Man muss sich solche Leute als sehr unglückliche Menschen vorstellen“ oder „Und ich glaube, dass man sich […] als einen sehr glücklichen Menschen vorstellen muss.“
Freilich, noch einmal lässt Strolz seinen dunklen Witz durchblitzen. Gegen Ende der Geschichte – die LeserIn befindet sich mit dem Erzähler im Präsens, im Stadium der vermeintlichen Kapitulation – heißt es: „Allmählich beginne ich auch mich als einen sehr glücklichen Menschen zu begreifen, und um diese Einsicht zu verdeutlichen, setze ich mich wieder an den Rechner und ziehe mir mit dem Verflüssigen-Werkzeug die Mundwinkel ein wenig nach oben.“
Handfesteres Werkzeug benötigt Die Tour. Auch in dieser dritten Kernerzählung des Bandes gibt es den Blick aus erhöhter Position, nur hat er diesmal etwas alpin Bodenständiges: Zwei von Kindesbeinen an verhaberte junge Männer („Was uns verband, hätte man ruhig Freundschaft nennen können.“) sind, unbedacht verabredet, im Hochgebirge unterwegs. Hier geht der aus Tirol stammende Autor das Wagnis eines unsympathischen Erzählers ein – und gewinnt. Der Icherzähler mit den „Powerriegeln“ im Gepäck schaut auf den Gefährten herab, betrachtet sich als überlegen. Umso stärker wirkt der Schlusssatz – eine von nur zwei wörtlichen Reden dieser Erzählung – , in dem der Andere das letzte Wort hat: „Begreifst du denn nicht, wie abartig schön es hier oben ist?!
„Von oben“ war das Motto des FM4-Kurzgeschichtenwettbewerbs, bei dem Christoph Strolz 2012 auf die aus 20 Texten bestehende Longlist gelangte; 2014 gewann er, Thema war „haarig“ (in der Jury u. a. David Wagner und Eva Menasse). Meine Schwester, die damals ausgezeichnete Kurzgeschichte – abgedruckt in: FM4 Wortlaut 14. haarig. – ist im nun vorliegenden Erzählband nicht enthalten.
Kaum preisverdächtig sind die Texte Schnee und Terrarium. ‚Erste Person‘ ist einmal eine nicht mehr ganz junge Frau mit Sohn im Vorlesealter, einmal eine allein lebende junge Frau mit Mutter im Facebookalter. Das Klischee vom Zimmermädchen, das von den Kopfpolster-Schokolädchen nascht und aus den Minibar-Fläschchen nippt, wird auch nicht besser, wenn es mit erzählerisch patscherten Behauptungen einer Prise Verhaltensoriginalität frisiert wird. Angesichts von Branchenkolleginnen (vergleiche die Erzählerin aus Lucia Berlins A Manual for Cleaning Women) ist diese Frau sträflich unterversorgt – von ihrem Autor.
Ambitionierter ist die Erzählung Terrarium mit ihrem phantastischen Touch durch einen Echsenartigen. Offen bleibt, ob es sich um eine Metapher für Kaltblütigkeit handelt oder um eine Anspielung auf Verschwörungstheorien. Offensichtlich wird das Scheitern des Schreibenden an weiblichen IcherzählerInnen. – Ja, auch schwache Stories enthalten gute Sätze: „Vom Kühlraum her der von zuhause vertraute Kühlschrankgeruch, nur in groß.“ (Schnee). Oder: „Je älter ich wurde, umso lächerlicher erschienen mir meine Eitelkeiten und umso klarer wurde mir: Ein Gummizug ist im Grunde ein unschlagbares Hosenbundkonzept.“ (Terrarium).
Seit Ingeborg Bachmann wissen wir, dass es nicht die guten und schönen Sätze zu finden gilt, sondern …? Die Wahrheit, erste Geschichte des Bandes, im Umfang zur einen Hälfte längerer Texte zählend, zeigt die Sicht eines jungen Forschers oder einer jungen Forscherin: Beobachtungen und Deutungsversuche eines Phänomens, das sich vorerst pathologisch manifestiert hatte, führten zur Theorie von Wahrheit als endlicher Ressource.
Unendlich scheint in dieser Geschichte Strolz‘ Vorrat an Adverbien: „Man empfand es zusehends als Zumutung, überhaupt sprechen zu müssen“, als Zitat hinten auf das (vorzüglich gestaltete) Buch gedruckt, stammt aus dieser Erzählung. Wäre nur dieser eine Text adverbiales Ballungsgebiet, könnte das als Stilmittel funktionieren – zur Charakterisierung einer Déformation professionnelle, einer Stimme, die schriftliches Präzisieren und Relativieren (auch Aufblasen und Strecken) internalisiert hat und auch im ‚Erzählen‘ nicht mehr weg bringt. Das Umstandswort feiert aber auch in den anderen Stories fröhliche Urständ‘.
Könnte Strolz‘ Passion für Modifizierungen ihrerseits mit einem Begehr nach wahren Sätzen zusammen hängen? Dass sich der Autor in allen sieben Geschichten, deren ErzählerInnen so unterschiedlicher Natur sind, dieses Dauerfeuers an „fast“, „nahezu“, „eigentlich“, „womöglich“, „wirklich“, „vielleicht“, „weitgehend“, „annähernd“, „ausgesprochen“, „erstaunlich“ u.v.[!]m. bedient, muss doch Methode haben. Oder ist’s Marotte?