#Prosa

Wenn es soweit ist

Josef Winkler

// Rezension von Klaus Kastberger

Die unterschiedlichsten Hoffnungen werden zu unterschiedlichen Zeiten in die Literatur gesetzt. Nach dem Scheitern politisch-engagierter Ansprüche hat man zu Beginn der 80er Jahre individuelle Änderungsmöglichkeiten favorisiert. „Literatur als Therapie“ galt (nach einem Buchtitel von Adolf Muschg) als Schlagwort des Jahrzehnts, allerortens haben sich deutschsprachige Autoren um eine Aufarbeitung ihrer (teilweise dann leider doch recht gleichförmigen) Lebensgeschichten bemüht; die Verfertigung von Literatur gilt seither als kleiner Therapieersatz für den Hausgebrauch.

Mit seiner Romantrilogie über die Zustände in seinem Kärntner Heimatdorf Kamering, dem Bericht über den Doppelselbstmord zweier Knaben, der Abrechnung mit dem eigenen Vater und dem Katholizismus sowie dem offensiv vorgetragenen Bekenntnis der Homosexualität kam ein Bauernbub wie Josef Winkler damals gerade recht. Einen neuen Tonfall hat der Autor in den 80er Jahren in die literarische Landschaft gebracht: eine litaneiartig rhythmisierte Sprache, in der den Bildern und Symbolen des Katholizismus ein blutiger Ernst erwuchs.

Wenn es soweit ist hat der Kärntner sein neuestes Werk genannt, einen vergleichsweise schmalen Band von 190 Seiten. Mit dem Buch kehrt Winkler zu seinen Kärntner Wurzeln zurück. Zudem beweist er, daß sich ein Lebensthema wie seines literarisch nicht so einfach zu einem Ende bringen läßt. Gute Literatur erweist sich, wenn sie als Therapie fürs Leben verstanden wird, schlußendlich selbst gegen die Therapie resistent.

Die Expeditionen nach Rom (in dem Buch Friedhof der bitteren Orangen) und Indien (Domra) waren also nur Zwischenstationen auf der kreisförmigen Route des Autors. Eigentliches Thema seines Schreibens ist und bleibt der Heimatort Kamering, das kreuzförmige Dorf, das zur Jahrhundertwende eingeäschert und (ganz im Zeichen des Kreuzes) neu aufgebaut wurde. Ein neunzigjähriger Greis hat es Winkler diesmal ganz besonders angetan, der Mann geht einer wirklich ausgefallenen Profession nach. Als Knochelköhler bereitet er aus den Gebeinen toter Tiere einen schwarzen Sud. Dieses Zeug stinkt derartig, daß alle Fliegen und Insekten Reißaus nehmen, die Paste wird deshalb den Pferden um die Augen geschmiert.

Die Methode des Mannes nimmt Winkler zum Vorbild seiner eigenen. Auch der Autor führt einen Knochentrog mit sich, hier werden die Überreste der Verstorbenen zu literarischer Evidenz gebracht. Die Toten des Dorfes marschieren auf: Ein gewisser Georg Fuhrmann beispielsweise, der nach der Schweineschlachtung für gewöhnlich ins Wurstfleisch urinierte, oder ein Florian Kirchheimer, der das erste und völlig unrentable Elektrizitätswerk des Dorfes errichtet und den ersten Fernseher betrieben hat. Die Namen und Schicksale (von Tante Hildegard bis zu dem Katholiken Klaus Hafner, der evangelisch geheiratet hat) sagen uns im einzelnen nicht viel, und doch wird mit ihnen in der Gesamtheit eine überzeugende, weil auch literarisch gelungene Dorfgeschichte geschrieben, die immer wieder dorthin zurückmündet, woher sie formal stammt, nämlich ins Gebet.

Josef Winkler macht sich mit Wenn es soweit ist zum Chronisten jener katholischen Dorfkultur, von der er sich einst über den Weg der Literatur befreien wollte.

Wahrscheinlich ist es gerade das, was sich aus dem Werk des Autors lernen läßt: Daß man sich durch/in Literatur zwar nicht die Seele vom Leib schreiben, aber den eigenen Leib einer neuen und adäquaten literarischen Form einpassen kann.

Wenn es soweit ist.
Erzählung.
Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1998.
190 Seiten, gebunden.
ISBN 3-518-41011-3.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Rezension vom 29.09.1998

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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