Lange schon ist die Vermischung von Fact und Fiction in der Literatur gängige Praxis. Es erzeugt große mediale Aufmerksamkeit, wenn Fiktion für Realität ausgegeben wird, wie der Fall des Schweizers Bruno Grosjean, der als Binjamin Wilkomirski vorgeblich authentische Kindheitserinnerungen an seine KZ-Haft veröffentlichte, belegt. Manchmal wird die Literaturkritik im Feuilleton ganz aufgeregt (und gewinnt an Unterhaltungswert), weil sie in einem fiktiven Text Fakten erkennt und diesen dann als Schlüsselroman lesen kann. (Zuletzt in Eva Menasses „Vienna“)
Im Fall von Norbert Gstreins Roman „Das Handwerk des Tötens“, der von der Schwierigkeit über den (Balkan-)Krieg zu schreiben handelt, und in dem der Autor die Grenzen der Fiktion hinter sich lässt, wo er die tatsächliche Geschichte des Stern-Reporters Gabriel Grüner erzählt, hat die Auflösung der Grenzen zwischen Fiktion und Realität zu einer heftigen Kontroverse geführt. In ihrer Rezension in „Die Zeit“ wirft Iris Radisch Gstrein vor, einen „ungemein sympathischen Kollegen“ verunglimpft zu haben, und Sabine Gruber reagiert im Roman „Die Zumutung“ mit der Figur des Schriftstellers Holztaler, der anstelle von Norbert Gstrein schlecht wegkommt. Darauf antwortet Gstrein mit der Polemik „Wem gehört eine Geschichte?“.
Der Tiroler Autor beginnt damit, die Motive seiner Schrift offen zu legen. Er nennt dabei zweitens seine „Ehre“, da er die Anschuldigung einem Toten übel nachgeredet zu haben ernst nehme, und zuerst noch das „Bedürfnis“ deutlich zu machen, wie es in „Das Handwerk des Tötens“ um das Verhältnis zwischen Fakten und Fiktion bestellt sei. Die Argumentation gipfelt in einer Bestimmung des modernen Schriftstellers als „Aufräumarbeiter“, der es schafft, dass sich aus den Bruchstücken des Faktischen „am Ende doch Flugfähiges erhebe“. Bei dieser Gelegenheit führt Gstrein gleich eine ganze Reihe von Gewährsleuten, von Uwe Johnson und W. G. Sebald über Marcel Beyer bis Danilo Kis an. Der Titel der Schrift lehnt sich übrigens an Imre Kertész‘ Essay „Wem gehört Auschwitz“ an. Anregend in diesem Zusammenhang die Unterscheidung zwischen geschenkten und gekauften Geschichten. Am Beispiel von Berhard-Henri Lévys „Wer hat Daniel Pearl ermordet?“ zeigt Gstrein paradigmatisch die Grenzen dessen auf, was die den Band ironisch dekorierende Schleife anpreist: „Based on a True Story“. Dabei wendet sich Norbert Gstrein gegen das Realitätsprinzip als Maßstab für Literatur und plädiert an seiner Stelle für den Möglichkeitssinn und „sein viel freieres ‚Es ist …‘ oder ‚Es ist nicht, wie es gewesen sein könnte'“.
Der Eigenart einer Streitschrift gemäß ist in diesem Text nicht alles ganz sachlich, ätzende Bemerkungen, die die Gemeinten wohl auch verletzen, sind nicht zu überlesen. Neben den beiden oben erwähnten Frauen werden vor allem der Literaturbetrieb in Österreich und seine Spitzenvertreter frontal angegriffen. Ob das in einer Polemik, wie das ein Innsbrucker Germanist in einer Rezension meint, ein Skandal ist, sei dahingestellt. Da die Machart des angriffsfreudigen Aufsatzes gleichzeitig so geschliffen ist, kann sich ein nicht allzu dünnhäutiger außenstehender Leser sicher gut darüber amüsieren.