#Prosa

Weißwein und Aspirin

Kurt Lanthaler

// Rezension von Peter Landerl

13 mal Irrsinn im neuen Buch von Kurt Lanthaler, das den Titel Weißwein und Aspirin trägt. Dazu der verwegene Untertitel: „Hirnrissige Geschichten.“ Ganz neu sind Lanthalers Geschichten nicht. Die meisten davon sind bereits 1997 bei Haymon unter dem Titel „Heiße Hunde. Hirnrissige Geschichten und ein Stück Karibik“ (welch ein erfrischend ungewöhnlicher Titel!) erschienen. Diogenes hat nun mit ein wenig verändertem Inhalt ein Taschenbuch daraus gemacht.

Hirnrissige Geschichten also. Als Germanist kennt man diese Gattungsbezeichnung nicht und ist ein bißchen ratlos. Was darf man sich darunter vorstellen? Das Österreichische Wörterbuch verweist bei hirnrissig (ugs., abw.) auf die Wörter „hirnverbrannt, unsinnig, verrückt“. Verrückt trifft das Buch wohl am ehesten. Da tummeln sich eigenwillige, verschrobene Käuze, Leute, denen man den Irrsinn förmlich ansieht, aber auch welche, die ihn geschickt zu verbergen wissen. Die Stories nehmen plötzliche, unglaubliche Wendungen, die den Leser aufs Glatteis führen.

Liefern wir uns also mutig aus, dem Wahn: Was tut man, wenn man unerträgliche Kopfschmerzen hat, Weißwein und Aspirin nichts dagegen nützen? Man läßt sich von einem Stambuler Arzt den Kopf aufschneiden, der dann nichts anderes macht, als mit der Zunge über das Hirn zu schlecken. Ein römischer Obdachloser läßt sich von einem Reisenden zum Essen einladen und erzählt dafür von seiner Vergangenheit als medizinisches Genie, von Menschenversuchen mit Elektroschocks. In Pavillon IX arbeitet der junge Assistenzarzt Dr. Hüff an einer neuen Methode der Diagnose, überzeugt davon, daß der Wahnsinn in den Augen sitzt. Eine Betriebsfeier endet schrecklich, als sich einige angetrunkene Gäste im weihnachtlichen Überschwang auf ein Kettenkarussell setzen. Müller zwo wird in die geschlossene Abteilung geschickt, um rätselhafte Selbstmorde aufzuklären. Ein Schriftsteller verliert seine Schreibhemmung plötzlich, als er seine neue rumänische Nachbarin kennenlernt. Dem ungeduldigen Verleger schickt er folgendes Fax: „Habe eine Geschichte für dich. Dreiundzwanzig Leichen, hundert Verletzte, fünf Polizisten, ein LKW-Fahrer. Und eine Rumänin. 160 Seiten, lieferbar in drei Monaten. Wie wär’s mit entsprechendem Akonto?“
Gestorben wird bei Lanthaler mit Unterhaltungswert: Altbauer Beppi schneidet sich das Glied ab und ist fünf Minuten später verblutet; Diplomvolkswirt Karl F. wird in einer bitteren Verwechslungskomödie von einem Beamten der Polizeiinspektion Poing erschossen; A.B. kommt ums Leben, als er mit einem Bagger in ein Hotel donnert und von den herabstürzenden Trümmern erschlagen wird usf.

Man ist sich seiner Welt nicht mehr sicher, wenn man Lanthalers kurzweilige Geschichten liest. Der Wahnsinn sitzt überall, in den Köpfen, den Gehirnen, in uns und um uns herum, der Realitätsverlust greift von einem auf den anderen über.
Ein Buch, das unterhält, das ver-rückt und täuscht, das ein wenig anders ist als all die anderen und Farbkleckse auf unsere Monotonie spritzt. Und das ist gut so.

Kurt Lanthaler Weißwein und Aspirin
Hirnrissige Geschichten.
Zürich: Diogenes, 2002.
160 S.; brosch.
ISBN 3257233183.

Rezension vom 13.05.2002

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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