Aber bei Christine Haidegger trauert das lyrische Ich nicht so sehr um sich selbst, trotz aller objektiven Betrachtungsweise ist zwischendurch immer wieder klar, daß die Autorin Gedanken kreisen läßt um ihre früh verstorbene Tochter, die unter dem Namen Meta Merz gerade eruptiv ihre Schreibfelder abgesteckt hatte.
Der erste Teil „Winterfarben“ ist auch programmatisch dem toten Kind gewidmet. „Nocheinmal / die Nabelschnur zerschnitten // Weiß / rinnt mein Blut / am Herzen vorbei / zurück // Dein halbgeöffnetes Lid / damals / Dein halbgeschlossenes Lid / jetzt // Dazwischen / hast du gelächelt / Leuchtend geöffnetes Blau? (8)
Schnee, nichts zu verkaufen, Muschelschalen knirschen, Trauer, Himmel und Hölle sind einige Schlüsselbegriffe, um die sich die scheinbar schneeblind gewordenen Gedanken der Trauer versammeln, kein Schutz weit und breit.
Auch der zweite Abschnitt, „weiße Nächte“ überschrieben, ist zwischen Allerseelen und einer Jahreszeit der Bodenlosigkeit eingespannt, selbst Gottes Füße kriegen keinen Boden, heißt es einmal resignierend.
Abschnitt drei und vier handeln von Reisen, Amerika, Stadt und Land eben, wie es in einem Quiz-Spiel heißt. Amerika als Erlebnis – die Orte werden in die Aura eines großen Mythos gestellt, America beispielsweise – und dann steht eine Frau in der Schlange vor der Kassa. Oder ein Mann aus einem grandiosen downtown läßt sich umständlich ein Klavier kommen und dann stellt sich heraus, daß er nicht klavierspielen kann.
Mit der Zeit schließt sich der Motivkreis, die Orte der Trauerreise korrespondieren mit den Kälteschocks der ursprünglichen Trauer. Die weißen Nächte finden überall statt, wohin sich das trauernde Ich auch wendet. Christine Haideggers Gedichte sind eine ungewöhnliche Mischung aus Intimität und Öffentlichkeit.