Palms 16-jähriger Protagonist Christian, der biografische Züge des Autors hat, hadert mit seiner französisch-österreichischen Herkunft. Er lebt in Zürich, doch als Schweizer fühlt er sich nicht; lehnt alles Schweizerische ab. Er fühlt sich momentan als Franzose. In seinem Zimmer hängt stolz die Tricolore. Das war nicht immer so. Noch vor ein paar Monaten machte er sich über alles Französische lustig.
Doch diese vermeintliche Zugehörigkeit Frankreichs nimmt ein jähes Ende, als er die Sommerferien bei seiner Großmutter in Südfrankreich verbringt. Nachdem er für eine Woche wegen eines starken Sonnenbrandes im Dunkeln verbringen musste, versteht er sich mit einer Abiturienten-Clique von dort überhaupt nicht. Als er dann nicht in eine Disko reinkommt, fühlt er sich unerwünscht, ausgeschlossen, fremd. Plötzlich drängt ihn ein Fluchtgefühl – zurück in die Schweiz!
Dort tritt er seine Lehre in einem Musikladen an. Die Tätigkeit ist monoton, langweilig, seine Vorgesetzte eigenartig. In der Berufsschule gibt er sich im Beisein seiner aus Italien, Spanien und Kosovo stammenden Mitschüler als Franzose aus – um sich ihnen als Ausländer zugehörig zu fühlen. Doch das läuft schief. Auch hier fremdelt er. Erst recht als die Jungs über Fußball, Fitness und Frauen sprechen.
Währenddessen entdeckt er die klassische Musik für sich – er hört das Siegfriedidyll von Richard Wagner. Um mehr über Opern und Komponisten zu erfahren, trifft er sich unbemerkt von seiner Vorgesetzten mit dem Leiter der Klassikabteilung. Unbemerkt, da die Pop- und die Klassikabteilung im Musikladen spinnefeind sind. Denn man ist nur Pop- oder Klassikmensch – klare Identitätsfrage auch hier. Tage später kommt es zum Eklat. Mit weitreichenden Folgen für Christian?
Autor Palm gelingt es, „nationale“ Identitätsfragen plastisch wie eindringlich darzustellen. Dabei bietet er keine Lösung an, sondern gibt die eindimensionale Zugehörigkeitsfrage der Lächerlichkeit preis. Aber nicht nur. Er zeigt die ganze Tragik dieses Verbunden-sein-Wollens. Christian probiert eine Nationalidentität nach der anderen aus, darunter auch die Negativdefinition, „kein Schweizer“ zu sein. Er probiert sie an wie Kleidungsstücke – und scheitert kläglich. Auch weil er Klischees nachläuft. Wird er sich als Österreicher oder „Schriftdeutscher“ wohler fühlen? Palm macht uns am Ende des Buches keine Hoffnung.
Allerdings zeigt der Roman auf einfache, aber erschütternde Art, dass die Identitätsfrage weniger von Herkunft oder Landeskulturen bestimmt ist, sondern von Bildung und Klassenzugehörigkeit geprägt ist. Darum fühlt sich Christian als Kind bürgerlicher Eltern zu Arbeitern und bildungsfernen Migrantenkinder weniger zugehörig. Das Bürgertum reproduziert sich selbst. Genauso wie die Arbeiter. So rüttelt dieses Debüt an das vermeintliche Aufstiegsversprechen von Liberalen und Linken im deutschsprachigen Raum. Und bestraft sie der Lüge. Was auch als Systemkritik zu verstehen ist.
Überraschend auch die präzise und klare Sprache dieses Textes. Wobei vieles Ungesagt und zwischen den Zeilen vermittelt wird. Ungewöhnlich: die indirekte Rede aus der Er-Perspektive. Das passt blendend zu Christians Charakter, der kaum greifbar ist und somit mittelbar wirkt.
Weg von hier ist ein beeindruckender und spannender Debütroman, der Identitätsfragen aus anderer Perspektive betrachtet. Ein anregender Roman eines vielversprechenden Autors!