#Prosa

Wasserstaub

Bianca Kos

// Rezension von Walter Wagner

Bianca Kos, die vor allem als Journalistin und Sachbuchautorin in Erscheinung getreten ist, hat spätestens mit der Veröffentlichung ihres Debütromans Das Mundstück im Jahr 2019 einen festen Platz auf dem Feld der Belletristik eingenommen. Wasserstaub, ihre jüngste literarische Hervorbringung, entführt uns in die kroatische Hafenstadt Rijeka, die bekanntlich mit malerischen Stränden und urbanem k. u. k. Flair aufzuwarten hat.

Wer hingegen nach Tourismus der besonderen Art sucht, darf getrost im Windschatten der Autorin wandeln, um das Innenleben der Adria-Metropole und ihrer Bewohner zu erkunden. Dabei gilt es, sich an die von Kos erprobte Dreifach-Strategie zu halten, die darin besteht, dass man den Lokalteil der Tageszeitungen regelmäßig studiert, die Netflix-Serie The Paper mit Eifer verfolgt und sämtliche Cafés nach und nach aufsucht, um sich dort mit dem neuesten Klatsch und Tratsch zu versorgen. Dazu braucht es allerdings Zeit und exzellente Sprachkenntnisse oder, in Ermangelung beider, den kürzlich erschienenen Reiseführer mit dem Titel Wasserstaub.

Doch nun zur Vorgeschichte. Eigentlich begab sich die Autorin nach Rijeka, weil sie Nachforschungen über ihre Urgroßtante anstellen wollte, welche die erste und heute älteste Café-Bar der Stadt, Teta Roža (dt. „Tante Rosa“), betrieb. In den Archiven nicht fündig geworden, verlegte sich Kos auf die Erforschung der Kaffeehausszene, wo sie zwar nichts über ihre Vorfahrin, wohl aber über Korruption, Polit-Skandale, Misswirtschaft, postjugoslawische Vergangenheitsbewältigung und das eine oder andere Verbrechen in Erfahrung bringen konnte. Und wie so oft übertrifft die Wirklichkeit in dieser historisch-geografischen Grauzone zwischen Balkan und Mitteleuropa die Fiktion allemal.

Skurrile Blüten treibt nämlich der an eine Realsatire grenzende Alltag der Ortsansässigen und Zugezogenen, die Kos in ihrem Buch mit augenzwinkernder Ironie porträtiert, während sie genüsslich aus dem reichen Fundus journalistischer Informationen schöpft. Inspiriert von den Höhenflügen der städtischen Presse, bewirbt sie sich sogar als Mitarbeiterin des Sensationsblattes Novi list, auf dessen Unterhaltungswert man sich jederzeit verlassen kann. Zu ihrer Überraschung bekundet die Redaktion ernsthaftes Interesse an ihren Kolumnen, kann indes weder ein Honorar bezahlen noch garantieren, dass die Texte jemals gedruckt werden. Dies tut freilich ihrer Begeisterung an diesem Medium, das seine Leserschaft mit den abenteuerlichsten Geschichten versorgt, keinen Abbruch. So erfahren wir etwa dank der unermüdlichen Recherchen der Autorin, dass Pizzaboten auf Anfrage auch Marihuana, Kokain und Ecstasy zustellen. Ebenso wenig entgeht ihr, dass die vergilbte Preisliste „mit Sondertarifen für Matrosen und Soldaten“ immer noch den Eingang des ehemaligen Café Bordel ziert, das jetzt den schicken Namen La Grotta trägt. Ihrem Faible für Skurrilitäten folgend, kommentiert sie geistreich todernst vorgetragene Zeitungsmeldungen, deren Wahrheitsgehalt infrage zu stellen Kos mitnichten angetreten ist. Denn es ist viel wichtiger, ihrem deutschsprachigen Publikum darüber zu berichten, dass ein Wildschweinrudel auf dem Friedhof „die Bepflanzung neu gestaltet“ oder „die Megabaustelle Kulturzentrum, das größte städtische Prestigebauprojekt seit der Römerzeit“, endlich in Angriff genommen worden ist. Rijeka zeichnet sich jedenfalls durch den Verschönerungswillen der kommunalen Verantwortlichen aus, die beherzt gegen Sperrmüll, Industrieruinen und baufällige Architektur vorgehen. Als Kennerin des adriatischen Schlendrians erwartet sie sich freilich nicht allzu viel von den medienwirksamen Bemühungen, der Stadt ein modernes Gepräge zu verleihen, weshalb sie launig resümiert: „Der Herbst zieht ins Land. Die Ziegel fallen von den Dächern […].“ Immer noch hängen auf den Wäscheleinen „Batterien von Unterhosen und Geschützreihen von Büstenhaltern“, die den Ruf Rijekas und gängige Stereotypen gegen die üblichen Anfechtungen verteidigen.

Kos‘ Beobachtungen sind zweifelsohne kabarettreif und laden saturierte Touristen dazu ein, sich selbst auf eine dieser alternativen Besichtigungstouren zu begeben, die Wasserstaub literarisch aufbereitet hat und allen Interessierten zum erheiternden Gebrauch freundlich anheimstellt.

Bianca Kos Wasserstaub
Erkundungen.
Salzburg, Wien: Otto Müller, 2022.
149 S.; geb.
ISBN 978-3-7013-1295-5.

Rezension vom 09.03.2022

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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