#Roman

Wasser atmen

Elisabeth Klar

// Rezension von Eva Maria Stöckler

„Um das Wasser zu zähmen, gießt man es in Becken. Wasser lässt sich nicht zähmen. Selbst im Pool schlägt es hohe Wellen, übertritt seine Grenzen, flutet den Raum, jetzt, wo der Sturm angekommen ist.“ (S. 229)

Unbezähmbar und wild, kraftvoll und grenzenlos ist das Wasser, das Elisabeth Klar in ihrem zweiten Roman Wasser atmen zur Metapher für das Leben zweier Frauen wählt, die beide auf unterschiedlichen Wegen und doch sehr ähnliche Weise den Boden unter den Füßen verlieren, abtauchen, versinken, im Wasser verschwinden.

 

Klar konzentriert dabei ihren Text auf das Innenleben von Erika Wawracek und Judith Lackner, aus deren Perspektive abwechselnd erzählt wird. Erika ist Meeresbiologin und Bioakustikerin und erforscht die Klangwelt unter Wasser. Sie hört „den Schiffen und Ölbohrstationen zu, die jedes Jahr zahlreicher und damit lauter werden und die Rufe und Gesänge der Wale immer mehr verstecken, verdrängen. Sich nicht hören, heißt, sich nicht finden. Sich nicht finden, heißt, zugrunde gehen als Spezies.“ (S. 20) In ihrer Freizeit betreibt sie unter der Anleitung ihres Universitätskollegen und Freundes Cécil Fournet Aikido, rational und kontrolliert wie ihre wissenschaftliche Tätigkeit. „Erika, du siehst das Aikido immer so intellektuell, aber weißt du, auf der Matte, dort findet es statt.“ (S. 95) Gegenüber der Musikwissenschaftlerin Judith Lackner hat sie zunächst große Vorbehalte. Musikwissenschaft sei ein „geisteswissenschaftliches Studium, so richtig forschen werden die dort wohl nicht.“ (S. 10)

Judith Lackner lernt Erika kennen, als sie die Professorin für ihre Diplomarbeit interviewt. Judith leidet darunter, dass sie ihr Studium noch nicht abgeschlossen hat, trotzdem widmet sie sich nur widerwillig ihrer Diplomarbeit, zögert den Abschluss hinaus, kann kein Ende finden. Die Mitgliedschaft in einer Industrial Rock Band hat sie längst schon aufgegeben, die Klarinette verkauft – und danach bereut. Die Reste ihrer Kindheit, die sie in Frankreich an einem Ort verbracht hat, der später im Wasser versunken ist, sind fast vergessene französische Worte, die oft in Wortkaskaden die Oberfläche der Erinnerung erreichen: Nur: noise, Lärm, noyer, noix, noyau, oiseau, noiseau, noyer.

Elisabeth Klar widmet sich sehr detailreich dem Innenleben der beiden Frauen, das von unspezifischen Ängsten und misslungenen Versuchen von Selbstkontrolle geprägt ist. Als sie einander nach ihrem ersten Kennenlernen zufällig in einem Schwimmbad begegnen, versuchen Erika und Judith einander nicht wahrzunehmen und verstecken sich im Wasser, unter Wasser. Beide haben Angst davor berührt zu werden, nur die Berührung des Wassers lassen sie zu. Klar spiegelt die Gedanken und Gefühlszustände in den Räumen, in denen Erika und Judith sich aufhalten, sei es im Schwimmbad, im Trainingsraum, im Wohnzimmer von Judiths Eltern oder in der Forschungsstation im Eis der Antarktis. In diesen Räumen beginnt die Stille zu tönen, beginnen die Objekte zu klingen, sie werden zu Lautsprechern ihrer Seelen und die Klänge zum Widerhall ihrer Ängste. Judith und Erika suchen und schaffen sich Räume. Erika: „Ihr Leben will eingeteilt sein in Beete, von denen jedes genau abgegrenzt ist, zu ihrem Schutz.“ (S. 23). Sie sind einsam, wirken zukunftslos und lassen andere Menschen nicht zu nahe kommen, nehmen aber ihre Umwelt sehr körperlich wahr. Als Verbindungsperson zwischen den beiden taucht immer wieder, Karo, Karoline Bates, auf, die durch provokante Aussagen Erika und Judith aus der Reserve locken will. Sie schreibt über die „kulturgeschichtlichen Hintergründe der Unterscheidung zwischen Lärm und Musik“ und hat „bereits die Titel, die Judith sich erst verdienen muss“ (beides S. 33)

Als für Judith und Erika Lebensperspektiven entstehen – Judith schließt ihr Studium ab, Erika entscheidet sich dafür, ein Jahr lang an einer Forschungsstation in der Antarktis zu forschen – beginnt ein Prozess der Veränderung, der sich wiederum in den Umgebungen spiegelt. Judith entdeckt bei ihrer Tante eine Vase mit einem Riss, der nachträglich gekittet wurde. „Es rinnt nicht über, aber durch die gekitteten Stellen dringt es, schiebt sich nach außen, all das Wasser in ihr, sie kann es doch nicht halten.“ (S. 45)

Die Lektüre von Elisabeth Klars Roman braucht Zeit, er will langsam, aber er will laut gelesen werden. Die ruhig dahinfließende Sprache, das sanfte Klingen des Textes bewirkt einen fast zeitlosen Moment des Innehaltens, durch den die Figuren deutlich, fast eindringlich formulieren, so deutlich, also ob dies alles unter Wasser passieren würde, wo alles lauter, kraftvoller, näher klingt.

Judith und Erika sind Frauen, die kaum unterschiedlicher und kaum ähnlicher wurzellos, einsam und ziellos wirken. „Ein Leben soll zwischen zwei Buchdeckeln festgehalten werden. Dazwischen herausfallen soll es nicht.“ (S. 119) Wahrnehmungen fließen ineinander, sind oft nicht zu trennen. Am Ende verlieren beide die Orientierung, stehen vor der Frage, die lebensrettende Verbindung zum Außen aufzugeben. „Du solltest das Mundstück weggeben und Wasser atmen.“ (S. 224) Es ist das Hören, dieses Hinhören, das wesentlich für Erikas und Judiths Existenz ist. Das Hören in die Tiefen des Meeres, das Hören in die Tiefen der Musik bis zur Selbstaufgabe. Wenn man hinhört, aufmerksam zuhört, muss man sich für einen Moment selbst vergessen, muss einen Moment des Hörens lang beim Gehörten sein, es zulassen, um es begreifen zu können.

Elisabeth Klar Wasser atmen
Roman.
Salzburg: Residenz, 2017.
360 S.; geb.
ISBN 9783701716791.

Rezension vom 11.09.2017

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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