#Roman

Was wir ahnen

Rudolf Habringer

// Rezension von Helmut Sturm

Wenn ein Roman im Anhang ein Verzeichnis der Hauptpersonen anbietet, ist das zumeist als Lesehilfe gedacht, um sich leichter in einem komplexen Gewebe von Verbindungen und Namen zurechtzufinden. Solche Unterstützung kann man zur Navigation durch die dreiundzwanzig Kapitel von Rudolf Habringers neuen Roman Was wir ahnen durchaus gebrauchen. Wer das letzte Werk des oberösterreichischen Schriftstellers Engel zweiter Ordnung gelesen hat, kennt bereits die meisten der Protagonisten. Er ist den Neueinsteigern in seine Romanwelt allerdings kaum voraus. Hat Habringer zuletzt ein und dieselbe Liebesgeschichte aus drei unterschiedlichen Perspektiven erzählt, enthält Was wir ahnen eine so große Zahl von Beziehungsgeschichten, dass ein Überblick nicht ganz einfach ist.

Erzählt wird von der Psychotherapeutin Verena, die das Trauma nach der Ermordung ihres Mannes durch einen Unbekannten zu bewältigen versucht; von Katharina, der Frau eines oberösterreichischen Politikers, die verzweifelt Ereignisse der Vergangenheit in ihr Leben zu integrieren probiert; von Erik, einem orientierungslosen Jugendlichen, der sich um den Preis grausamer Mutproben einer Gruppe Gescheiterter anschließt.
Der Psychotherapeut Mitterbach – ja Therapeuten kommen bei Habringer gehäuft vor – kann als Alter ego des Autors gelesen werden. Er bezeichnet sich als „Geschichteneinholer“, „Gefühlsdampfgarer“, „Quellenanbohrer“, auch als „Hebammer“, und fasst das Buch prägnant zusammen: „Nichts, was es nicht gibt.“

Da gibt es Kuckuckskinder, Alzheimer-Patienten, Musiker, Professoren, Polizisten und der Unterwelt nahestehende Privatdetektive. Es gibt Affären, Probleme in der Familie, mit den Partnerinnen und Partnern und in der Politik. Habringer ist in gewisser Weise ein Zeitschriftsteller, indem er Vorkommnisse wie etwa den Linzer Swap-Skandal anspricht. Er beschreibt die Orte der Handlung genau so, wie sie heute erlebt werden können. So unerwartet die Geschehnisse sich auch entwickeln – die Umstände sind immer konkret. Das hilft der Glaubwürdigkeit des Erzählten.
Habringer hat dem neuen Roman wieder ein Zitat von Franz Kafka vorangestellt. „Wer kann das von oben vom Anfang bis zum Ende mit offenen Augen überblicken?“ Im Falle von Was wir ahnen sind es der Autor und seine Leserinnen und Leser, die die Verbindungen zwischen Dingen herstellen können, die den Protagonisten in der fiktiven Welt bestenfalls Ahnung bleiben. Das Buch illustriert so höchst anregend Verenas Frage „Was wissen wir darüber, wie die Dinge verbunden sind?“. Es zeigt sich, dass die Welt der Erzählung immer neue Unsicherheiten an den Tag bringt. Als Grundlage dieser Poetik nennt Mitterbach die narrative Therapie nach White und Epston, die bekanntlich „die Zähmung der Monster“ verspricht.

Tatsächlich gibt es genügend Monströses und Abgründiges im Leben der Menschen in Linz und Umgebung, Regensburg, Wels, Krumau und Stockholm, den Orten der Handlung. Das könnte den Eindruck erwecken, das Buch sei schwere Kost. Doch auf wunderbare habringerische Weise ist der Roman eine eher leichte Lektüre, die auch nach einem harten Arbeitstag noch zur Hand genommen werden darf. Der lockere Erzählton macht die Geheimnisse und Rätsel der Protagonisten zu einer klugen Unterhaltung.

Rudolf Habringer Was wir ahnen
Roman.
Wien: Picus, 2014.
312 S.; geb.
ISBN 978-3-7117-2007-8.

Rezension vom 01.03.2014

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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