#Essay

Was schön ist

Julian Schutting

// Rezension von Helmut Sturm

Die ersten Assoziationen, konfrontiert mit der Frage nach dem Schönen, sind möglicherweise bei vielen Menschen heute Bilder aus der Welt teurer Hochglanzmagazine oder billiger Prospekte ersehnter Traumurlaube. Warenhäuser spezialisiert auf Dekoration, Wohnungsausstattung und Tourismus sind Orte, wo gezeigt wird, was schön ist. Das Schöne hat Platz als das Angenehme, ist Randthema im Smalltalk, aber nicht im ernsten Diskurs.

„Wie man es den Distelfinken tue, damit sie schöner singen, solle (oder bloß: sollte?) man auch den Malern die Augen ausstechen“ – so irritierend beginnt Julian Schutting das erste Satzgefüge seiner Sammlung von Essays zur Frage (?) Was schön ist. Von Beginn weg wird Schönheit vernetzt mit Natur, Kunst, Gewalt, mit Bereichen, die durchaus im Zentrum aktueller Debatten stehen. Bis zum Schluss des in der von Gerhard Melzer dem besonderen Buch verschriebenen Reihe „Libell“ erschienenen Bandes hält Schutting nicht ohne Augenzwinkern und Ironie, aber engagiert daran fest, dass „was schön ist“ zuletzt mit der Frage nach der Wahrheit zusammenfällt. Denn das Schönste wäre doch ein Pfingsten „als Wahrmachung der Flammen, die in tausend Zungen reden machen“. Manche Leserin und mancher Leser möchte jetzt vielleicht „na-na-na-na!“ rufen. Das weiß auch Julian Schutting und tut es gleich selber. Er ist ein gelehrter Schüler Platons, der weiß, dass große Hoffnungen nur ernst genommen werden können, wenn sie ironisch präsentiert werden. Der letzte der Texte, er ist übrigens mit „Ein Gastmahl“ überschrieben, fasst den Diskurs zusammen und ist unbedingt lesenswert. Hier geht Schutting auf viele Fixpunkte der Ästhetik ein, reflektiert Plato, Adorno, Kleist, Goethe, Benjamin, Stifter …, nennt die Felder Schönheit und Luxus, Krankheit, Kitsch, Natur, Mimesis, Poiesis, Krieg, Harmonie …, und lässt den (bei Plato betrunkenen) Alkibiades festhalten, dass Kunst schön und wahr ist, „wenn in ihr nachbebt das von ihr gebändigte Grauen vor unserer hauchdünnen Zivilisationshaut“.

Durchgehend werden wir immer wieder – oft in Parks und Gärten – mit dem Wandel konfrontiert. Er erscheint in verschiedenem Licht, abhängig von unserem Blick, der von Schutting immer wieder zum Thema gemacht wird. Vor allem die Bedeutung des teleobjektiven Blickes wird untersucht. Charakteristisch für die Grundhaltung gibt es auch von ihm keine eindeutige Beurteilung. Schuttings Verstand und Witz verweigern eine eindimensionale Sicht, bevorzugen eine Haltung des Komplimentären.

Was schön ist zu lesen lohnt sich, ist aber auch anstrengend und mühsam. Das ist kein Buch zum Abschalten. Christiane Zintzen schreibt in ihrem klugen und erhellenden Nachwort: „Tatsächlich geben sich Julian Schuttings Texte fremd. Sie sprechen eine fremde Sprache innerhalb unserer eigenen, ihrer Syntax haftet ein befremdlicher Reibewert an.“ Infotainment nur für Leute, die gerne auch einmal den Finger zur Hand nehmen, um eine komplizierte Satzkonstruktion aufzudröseln, und sich Zeit lassen können.

Was schön ist.
Mit einem Nachwort von Christiane Zintzen.
Graz, Wien: Literaturverlag Droschl, 2002.
(= Reihe Libell 3, herausgegeben vom Franz Nabel Institut für Literaturforschung.)
112 Seiten, gebunden.
ISBN 3-85420-613-5.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Rezension vom 28.01.2003

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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