#Roman
#Debüt

Was ich im Wasser sah

Katharina Köller

// Rezension von Sabine E. Dengscherz

Eine Insel, ein Gasthaus auf der Klippe, eine blaue Stadt, zwei Konzerne, gläserne Windräder, Atommüll und ein paar rätselhafte Maschinen, die sich wie riesenhafte „Zecken“ über die Hänge bewegen. Eine Erzählerin mit einem Oktopus-Tattoo auf der Brust und einer verlorenen Schwester. Katharina Köller verwebt in ihrem Debutroman Was ich im Wasser sah poetisch Perspektiven auf Veränderung und Verfall. Sie erzählt von den Verwandlungen einer Insel, die dem Kapitalismus anheimfällt, von Ausbeutung und Verschmutzung der Welt, von Zerreißproben in Freundschaft, Liebe und Familie und von Verfall durch Krankheit und Tod. Und doch, oder vielleicht auch gerade deshalb, ist das Buch ganz nah am Leben.

Die Ich-Erzählerin Klarissa kehrt nach langer Zeit auf dem Festland wieder nach Hause zurück, auf ihre Heimatinsel. Sie hat sich verändert, durch einige Jahre des Studiums an einer Filmakademie, und durch eine Krankheit. Nachdem ihr bei einer Krebsoperation beide Brüste genommen wurden, beschließt sie, sich nie wieder etwas wegnehmen zu lassen. Anstatt Implantaten lässt sie sich eine Tätowierung machen: einen Oktopus. Kraken fressen schließlich gerne Krebs. Die Augen des Oktopus schützen nun vor aufdringlichen Blicken, sie „starren aggressiv zurück“ (S. 21).

Mit diesem Talisman stellt sich Klarissa ihrem alten Leben. Auf der Insel hat sich viel verändert. Der Eukalyptuswald wurde abgeholzt, an seiner Stelle drehen sich jetzt Windräder, erzeugen saubere Energie und schöne Filmbilder. Der Markt ist geschlossen, weil die Standgebühren erhöht wurden. Es lohnt sich einfach nicht mehr. Zwei Konzerne, SUNFISH und STARFISH haben sich auf der Insel breit gemacht. SUNFISH betreibt die Frittenbuden, STARFISH die Windräder.

Klarissas Zuhause, das Gasthaus auf der Klippe, „Zur schwankenden Weltkugel“, ist selbst ins Schwanken geraten. Klarissas Vater hat Krebs, seine Vertraute Mammie ist kürzlich gestorben, nur der Bruder Bill ist ein Fels in der Brandung – bis auch ihn eine Schicksalswelle trifft. Die verlorene Schwester wird zunächst Schritt für Schritt wiedergewonnen, bis sie ihrerseits in einer neuen Beziehung verfällt, wie ein Fisch, der an Land geworfen ist und dort erstickt. Ihr Element ist das Wasser. Aus dem Meer kommt das Leben, auch wenn sich die Fischerei schon lange nicht mehr wirklich lohnt. Aus dem Meer kommt auch der Tod, in vielerlei Gestalt.

Nicht nur die Insel hat sich verändert. Auch die Schwester mit den goldenen Augen, „ein fremdes, wunderschönes Mädchen“, gleichzeitig „kein Mädchen“ und auch „kein Mensch“ (S. 145), verwandelt sich, wird gleichsam zu einer Kraken-artigen Meerjungfrau, eng verwandt mit Klarissas Tattoo auf der Brust. Zusehens schwankt der Text zwischen Realismus und Traumwelt, ein Anker aber bleibt die Präzision der Schilderung.

Katharina Köller, Autorin und Theatermacherin, inszeniert bildstark, als würde sie Klarissas Filmaufnahmen in Text verwandeln. Sie erzählt metaphernreich, gerade dann, wenn es um die ‚technischen‘ Aspekte des Wandels geht. Ästhetik liegt selbst noch in der Zerstörung. Das Natürliche und das Un-Natürliche, das Wirkliche und das Un-Wirkliche gehen ineinander über wie eine Welle in die andere. „Was ich im Wasser sah“ ist eine mehrfache Spiegelung. Das Wasser ist ständig in Bewegung. Und es bringt alles wieder irgendwann ans Licht. Probleme lassen sich nicht im Meer versenken. Sie tauchen mit Bestimmtheit wieder auf. Wie der Müll am Strand.

Katharina Köller Was ich im Wasser sah
Roman.
Frankfurt: Frankfurter Verlagsanstalt, 2020.
317 S.; geb.
ISBN 978-3-627-00279-4.

Rezension vom 10.09.2020

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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