#Roman
#Prosa

Was Augen hat und
Ohren

Ursula Wiegele

// Rezension von Holger Englerth

Auch wenn es aus verkaufstechnischen Gründen notwendig erscheinen mag, mit dem Stempel „höchst aktuell“ im Pressetext wird man dem neuen Roman von Ursula Wiegele nicht gerecht. Hat er doch gerade die langfristigen Nachwirkungen totalitärer Politik in einer persönlichen Biographie zum Inhalt. Nicht brisante Tagesaktualität steht im Mittelpunkt, sondern eine genaue Beobachtung der unterschiedlichen Ausprägungen von Macht und die Frage, ob ihr überhaupt auszukommen ist.

Der rumänische Schauspieler Bogdan Marinescu ist nicht unbedingt am Höhepunkt seiner Karriere. Wir begegnen ihm zu Beginn des Romans in Italien, bereits am Gängelband des undurchsichtigen Geschäftsmanns Traian Voicu. Für dessen hocheigenartige Fernsehshow bekommt Bogdan reichlich kurzfristig Kostüme und Handlungsanweisungen zugespielt, um dann in nachgestellten Szenen aus italienischen Klassikern von Fellini, Bertolucci oder Pasolini eine Rolle zu übernehmen. Dabei kann er sich nicht einmal sicher sein, ob er überhaupt gefilmt wird. Was absurd klingt, setzt doch nur die Kette von prekären Jobs fort, die sein Leben in den letzten Jahren bestimmt haben (Lagerarbeiter, Antiquitätenhändler, Koch, Stadtführer ohne Lizenz, „was mir noch fehlt, ist Steuereintreiber und Hilfstotengräber“, S. 20). Da werden Verträge grundsätzlich unterschrieben, bevor sie noch gelesen sind.

Als sich ein Kameramann, der bei dem Spiel nicht mehr mitmachen will, Bogdan gegenüber öffnet, erwacht auch Bogdan aus seiner Resignation und Abhängigkeit. Dass ihm der direkte und problemlose Zugang selbst zum eigenen Sprechen verloren gegangen ist, erfahren die LeserInnen zuerst über einen Traum, den Grund dafür – vielleicht in zu unmittelbarer Folge – in einer Rückschau. In Rumänien hatte sich Bogdan einst auf der Bühne als Hamlet politisch die Zunge verbrannt, auf die massiven Drohungen und eine Entführung durch die Securitate reagierte er mit Flucht.

Die Beichte des Kameramannes ist nicht die letzte im Buch, doch statt für Klarheit sorgt sie nur für weitere Unsicherheiten. Bogdan empfängt sie wie in Trance, seltsam reaktionslos – und auch der Text lässt zuweilen offen, was Bogdan nun gehört oder doch nur geträumt hat. Ihm ist etwas an der Grenze zwischen Darstellung und Wirklichkeit verloren gegangen: „Mit dem Kostümieren in eine Rolle zu schlüpfen und sie dann mit dem Ausziehen wieder abzulegen, das hatte er lange genug geübt. Nur die Träume hielten sich nicht immer daran.“ (S. 62) Diese Unsicherheiten überschatten alle seine Begegnungen mit anderen Menschen, stellt sich doch auch heraus, dass Bogdan selbst nach dem Ende der rumänischen Diktatur allen Grund hat, seine Flucht nicht abzubrechen. Da ist noch eine Rechnung offen.

Aus der raschen Flucht ist bei Bogdan ein kaum mehr abzulegendes Nomadentum geworden. Das spiegelt sich auch in seinen Kontakten, ist doch nahezu das gesamte Personal des Romans ebenso mobil wie er selbst. Das sind natürlich keine guten Vorzeichen für die Liebe, Wiegele erfindet im Ausgleich dazu eine höchst gelungene, aber auch ziemlich antiklimaktische Liebesszene, bei der das Smartphone die Oberhand gewinnt.

Dieses beziehungslose Leben betrifft alle Aspekte des Lebens: Sei es Politik, bei der Bogdan den Umsturz in Rumänien 1989 in der kürzest möglichen Form im Fernsehen mitbekommt („Libertate Libertate, ein Hubschrauber auf dem Dach vom Palast des Volkes und zwei Leichen im Hof der Kaserne Targovi?te“, S. 21), oder seien es die privaten Beziehungen. Die Gründe für Bogdans Flucht, so wird im Laufe des Romans immer deutlicher, gehen über die Verfolgung aufgrund seiner politischen Opposition hinaus. Wovor er sonst flieht, will Bogdan lange nicht wahrhaben: „hier gab es kein Wickeln und keine unterbrochenen Nächte. Und keinen Streit“ S. 191.

Ob Bogdan Grund zur Hoffnung hat, seinen Status der Unsicherheit und Abhängigkeit, des immer weiter auf die Spitze getriebenen Prekariats zu verlassen, sei hier nicht verraten. Ein wesentliches Gestaltungselement des Romans ist gerade die Übertragung von Bogdans Orientierungslosigkeit in die Erzählweise selbst. Der Wechsel zwischen poetischen Elementen, knappen Dialogen und lakonischen, meisterinnenhaft verkürzten Sachbeschreibungen ist bedacht darauf, die Erfahrung einer nur langsam zu sich selbst kommenden Existenz wiederzugeben. Dass sich zum Schluss der Eindruck einstellt, dass nicht jedem Thema der verdiente Raum zugekommen ist, spricht auf jeden Fall für das Interesse, das Wiegele für ihre verlorene Figur zu wecken versteht.

Was Augen hat und Ohren.
Roman.
Salzburg, Wien: Otto Müller Verlag, 2019.
208 Seiten, gebunden.
ISBN 978-3-7013-1266-5.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autorin

Rezension vom 25.10.2019

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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